Deutsche Premium-Marken kopieren sich gegenseitig

Mercedes SUV Coupé-Studie Peking 2014 - Foto: Daimler AG

Um in keiner Nische den Zug zu verpassen, kopieren Audi, Mercedes und BMW untereinander munter neue Modellkonzepte. Im Zuge des Klonens dringen sie sogar in längst überwunden geglaubte Größen- und Luxusdimensionen vor. Weil es vor allem die Kunden in China und den USA so wollen. Von Thomas Imhof

Der BMW X6 ist in seiner machohaften Monumentalität das wohl kontroverseste Modell auf Deutschlands Straßen. Doch der Erfolg gibt dem 2008 angetretenen Autoriesen Recht. Im besten Jahr entschieden sich weltweit über 40.000 Kunden für die von einem 555 PS starken M-Modell gekrönte Baureihe. Die als Begründer der Klasse „Coupé-SUV“ gilt.

Dem Erfolg des X6 speziell in USA, Russland, dem Nahen Osten und China will Mercedes nun nicht mehr länger tatenlos zusehen. Und zeigte auf der Auto Show in Peking mit dem Concept Coupé SUV einen Klon des Münchener Konkurrenten. Als Mercedes MLC soll er ab Anfang 2015 gegen den bis dahin allerdings schon in zweiter Generation angebotenen X6 antreten. Daimler-Chef Dieter Zetsche wies zwar den Verdacht der Kopie weit von sich: „Wir haben einen anderen, eigenständigen Ansatz gewählt: Ein durch und durch sportliches Coupé, dem wir unsere umfangreiche Offroad-Expertise hinzugefügt haben.“ Doch erinnern die bulligen Proportionen, die wuchtige Frontpartie und das coupéartige Dach frappant an den X6.

Mercedes Coupé SUV Concept in Peking, Foto: Autogefühl
Der X6-Klon: Mercedes Coupé SUV Concept in Peking, Foto: Autogefühl

„Die deutschen Premiumhersteller belauern sich mehr denn je gegenseitig“, sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management an der FH für Wirtschaft in Bergisch Gladbach. „Eröffnet jemand ein neues Segment, das auch nur halbwegs Gewinn verspricht, wird nachgezogen. Dank der ausgefeilten Plattformkonzepte mit immer kürzeren Reaktionszeiten.“

Mercedes-Benz GLA 220 CDI - Foto: Mercedes-Benz
Konkurrenz zum BMWX1: Mercedes-Benz GLA 220 CDI – Foto: Mercedes-Benz

Kein Wunder, dass auch Audi das Trend-Thema SUV-Coupé – wenn auch verspätet – auf dem Schirm hat. Für ein ganzes Quartett der „schrägen“ Typen hat man sich eigens die „geraden“ Bezeichnungen Q2, Q4, Q6 und Q8 schützen lassen. Selbst die TT-Familie soll um einen SUV-Ableger wachsen. In Peking zu sehen in Form einer Studie, die den Autoanalysten Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg/Essen stark an den Range Rover Evoque erinnerte. Am großen Vorsprung, den BMW schon jetzt mit dem X6 und dem ab diesem Juli folgenden Kompakt-Ableger X4 hat, wird diese Offensive jedoch nichts mehr ändern können. Zumal der in einem neuen Werk in Mexiko gebaute Q6 nicht vor 2016 erscheinen wird. Auch Mercedes wird mit seinem Gegenstück zum BMW X4 nicht früher anrollen. Als Derivat des für 2015 kommenden neuen GLK reift mit dem GLC ein ebenfalls coupéhafter Crossover-SUV heran.

„Wir erleben gerade eine Explosion der Vielfalt“, sagt Dudenhöffer. „Die Verästelungen nehmen mehr zu, und jeder will sich auf ihnen ein Plätzchen sichern.“ Weniger den Kunden denn den Händlern würde das Überangebot über den Kopf wachsen. Denen fehle manchmal schlicht der Platz zum Aufstellen aller Derivate im Showroom – so sind neue Formen der Präsentation wie Video-Leinwände denkbar.

Das nächste SUV-Coupé: BMW X4 - Foto: BMW
Und schon kommt das nächste SUV-Coupé aus München: der X4 – Foto: BMW

Doch wenn es darauf ankomme, sich ein gutes Stück vom Kuchen zu sichern, werfen Hersteller auch schon mal hehre Grundsätze über Bord. Sagt Dudenhöffer-Kollege Bratzel mit Hinweis auf den 2er Active Tourer von BMW. Um der speziell in der „Generation Silber“ so beliebten B-Klasse von Mercedes etwas entgegenzusetzen, entstand der erste BMW Van. Mit Frontantrieb und einem Dreizylinder als Basismotor, beides aus dem Mini-Regal. Unter 30.000 Euro soll es ab Spätherbst losgehen, womit der Familien-Wagen auf Augenhöhe mit der B-Klasse und dem neuen Golf Sportsvan von Volkswagen läge. „Vor zehn Jahren ein noch undenkbarer Vorgang“, staunt auch Bratzel über das Okay zum bei BMW traditionell tabuisierten Frontantrieb.

Neben dem SUV- und Van-Segment beschnüffeln sich Audi, Mercedes, BMW aber auch noch anderswo. Beispiel: viertürige Coupés. Hier begründete die Marke mit dem Stern schon 2004 mit dem CLS eine neue Gattung in der Oberklasse. Während BMW mit dem Sechser Grand Coupé erst 2012 nachzog, gibt es vom CLS schon die Zweitauflage. Audi konterte zwischenzeitlich mit den Sportback Modellen von A5 und A7, die jedoch eher Fließheck-Limousinen mit großer Heckklappe sind.

Mercedes CLA Exterieur
Der Mercedes CLA trug das vom CLS begründete Thema des viertürigen Coupés in A-Klasse-Dimensionen. Das aeodynamisch momentan beste Auto der Welt ist vier Zentimeter länger als eine C-Klasse und kommt – man staune – vor allem in den USA extrem gut an – Foto: Autogefühl

Mit dem CLA auf dem Unterbau der frontgetriebenen A/B-Klasse eröffnete dann Mercedes 2013 erneut als Erster eine neue Nische in der Nische. Mit 4,63 Meter ist das designgetriebene Modell sogar ein paar Zentimeter länger als die neue C-Klasse. Und dank betonter Tropfenform mit Cw=0,22 das strömungsgünstigste Serienauto der Welt. BMW griff den Fehdehandschuh schnell auf, verzichtete beim preislich eng an den Stuttgarter Konkurrenten angelehnten 2er Coupé jedoch auf die hinteren Türen. In der Werbung wird der 4,43 Meter lange Münchener kühn als Erbe der in den 1970er-Jahren extrem populären 02er-Reihe verkauft.

„Die deutschen Premiumanbieter müssen einen fast schon mehrgliedrigen Spagat ausführen. Denn das weltweite Kundenprofil wird immer heterogener“, sagt Bratzel. „Die Hersteller stehen mit zwei Beinen in zwei Welten. Hier das zunehmend umweltbewusstere Europa mit seinen teils schon recht vielversprechenden Ansätzen zur Elektromobilität , dort China und die USA, deren gut verdienende Oberschicht beim Autokauf weiterhin Größe und Luxus schätzen.

BMW Werk Spartanburg (USA) - in Zukunft auch Werk für den X7 - Foto: BMW
BMW Werk Spartanburg (USA) – in Zukunft auch Produktionsstätte für den siebensitzigen X7 – Foto: BMW

Und so wird im Zuge des wechselseitigen Beäugens auch in den obersten Sphären des Automarktes eifrig jede Nische besetzt – und das große Klonen geht weiter. Bei BMW ist gerade die Entscheidung gefallen, im Werk Spartanburg (USA) ab 2018 einen X7 zu bauen, mit sieben Sitzen in drei Reihen. Dann wären die Münchener auf Augenhöhe mit dem 5,12 Meter langen Gigaliner Mercedes GL und dem bis dahin neu aufgelegten Audi Q7.

Vor allem China lockt mit nach Luxus gierenden Käufern. „Noch immer zählt dort Länge als Statussymbol“, weiß Bratzel. „Wir befinden uns zwar in der wohl letzten Phase einer Entwicklung zu noch größeren Fahrzeugen, aber diese kann durchaus noch zehn Jahre dauern.“

Fakt ist: Mit dem aktuellen 7er ist BMW im Wachstumsmarkt China eher unterrepräsentiert. Abhilfe könnte da der große und vor allem luxuriöse BMW 9er schaffen. Als Basis würde eine neue Leichtbau-Plattform dienen, auf der ab 2016 auch der Rolls Royce Phantom aufbauen wird. Mit der Studie Vision Future Luxury konkretisierte BMW auf der Pekinger Messe die Denkspiele. Mit einer riesigen Doppelniere, die mit den je zwei schmalen Laser-Scheinwerfern pro Seite eine Einheit bildet, wirkt das Auto schon in der Frontansicht respekteinflößend. Die organischen LED-Heckleuchten und der Einsatz von Carbon als tragendes Element zeugen dagegen von hoher Innovationskraft. Die muss der künftige 9er auch haben, will er gegen die als Maybach-Ersatz fest eingeplante superlange S-Klasse von Mercedes eine Chance haben.

Mercedes CLS 350 CDI, Foto: Autogefühl
Schon zweiter Generation: Der Mercedes CLS – Foto: Autogefühl

„Wir wollen eine Botschaft senden, dass die Zukunft nicht nur aus Elektroautos, sondern auch aus klassischen Modellen mit echten emotionalen Reizen besteht“, so die Botschaft eines BMW-Designers beim letztjährigen Concours d’Elegance Villa d‘Este. Am Comer See hatte BMW gerade auf Basis des aktuellen 7er eine Gran Lusso Coupé-Studie gezeigt. Die nun sogar gute Chancen hat, als Nachfahre des 1999 eingestellten BMW 8er in Serie zu gehen. Womit wiederum das große S-Klasse Coupé – vormals Mercedes CL – einen Konkurrenten mit Format bekäme. Dass der elektrisch angetriebene BMW i3 im Mai 2014 von einer internationalen Jury zum „World Car Design of the Year“ gekürt wurde, konnte der BMW-Mann natürlich damals nicht ahnen…

Audi TT offroad concept in Peking, Foto: Autogeüfhl
Audi TT offroad concept in Peking. Ingolstadt verwässert sogar das Sportler-Image des TT, um in neue Nischen vorzudringen. Foto: Autogefühl

„Mit höherer Energiedichte der Batterien wird das Elektroauto zulegen und Innenstädte für Verbrenner gesperrt werden. Auch die Mobilitäts-Konzepte in den Metropolen müssen sich ändern“, ist sich Stefan Bratzel sicher. Noch aber hieße das Motto speziell in China „Big sells well“. Womit die Frage auftaucht, ob Audi einen Q9, A9 oder A10 folgen lässt? Oder überlegen es sich die Herren der Ringe anders und machen sich lieber an ein adäquates Gegenstück zum BMW i3? Audi-Chef Rupert Stadler kündigte bereits für 2017 den ersten elektrisch betriebenen Audi an. Ein sportlicher SUV als Konkurrent gegen das geplante Model X des Elektroautopioniers Tesla. Das Modell werde nicht per Kabel aufgeladen, sondern induktiv beim Parken in speziellen Ladestationen mit Ladetechnik im Boden. Unter dem neuen Technikvorstand Ulrich Hackenberg wird auch schon ein Konkurrent für den neuen BMW-Van geprüft. Audi hat hier ebenso wie bei den SUV-Coupés Nachholbedarf. „Sie werden in den nächsten drei bis vier Jahren ein Modellfeuerwerk abliefern und dabei solche Lücken schließen“, ist sich Bratzel sicher. Denn niemand ist lange in seiner Nische allein – und sei es auch nur in Form von Kopien eines BMW X6.

Dachte sich im übrigen jetzt auch Porsche – und kündigt bis 2018 eine Coupé-Version des Bestsellers Cayenne an….

Text: Autogefühl, Thomas Imhof

Fotos: Autogefühl, Hersteller

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