Echtes Leder oder Kunstleder? Tierschutz in der Autoindustrie

Wenn man manche Autositze betrachtet, fragt man sich: Ist das echtes Leder oder Kunstleder? Die Antwort fällt meist vielschichtiger aus, als man denkt. Und wer dachte, dass Echtleder immer ein Qualitätsmerkmal ist und nur Vorteile bringt, der irrt. Im Zuge stärkerer Interessen für Tierschutz und Umwelt wächst der Druck auf die Automobilhersteller, ihre Produktion umwelt- und tiergerecht zu gestalten und dies transparent offen zu legen. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag der Tierrechtsorganisation PETA haben sich fast die Hälfte (42 %) der Befragten dafür ausgesprochen, dass Autohersteller standardmäßig leder- und tierfreie Innenausstattungen in ihren Modellen anbieten sollten. Nach der Mode- und Polsterindustrie stehen die Autobauer also als nächstes im Fokus. Interessiert daran sind mitnichten nur explizite Tierschützer, sondern eine kaufkräftige und weltgewandte Zielgruppe, die auch im Bereich Premium und Luxus nicht auf sozial- und umweltverträgliche Produkte verzichten möchte. Wir haben uns bei den größten deutschen Automobil-Produzenten umgehört, wie die Sache mit dem Leder und darüber hinaus gehandhabt wird. Offensichtlich ignorieren die Hersteller weitgehend eine Zielgruppe von über 7 Millionen Menschen in Deutschland – dabei müsste man mit dem Thema nur offener umgehen, denn das Zeitalter des massenhaft eingesetzten Echtleders läuft aus. Von Thomas Majchrzak

Nach Anregungen von Autogefühl-Lesern und vielen Detail-Fragen zu Ausstattungsoptionen haben wir einen Fragenkatalog entwickelt, den wir den großen deutschen Automobilherstellern, dem Verband der Automobilindustrie (VDA) sowie einigen Automobil-Zulieferern geschickt haben. Ferner fragten wir auch bei Volvo an, da sich während unserer Recherchen ein direkter Link zum schwedischen Hersteller ergab.

Führen wir uns zunächst vor Augen: Nach einer Allensbach-Umfrage waren 2013 schon fast 7 Millionen Menschen in Deutschland Vegetarier, darunter laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov fast 1 Millionen Veganer. Der Vegetarier-Anteil von gut 9 Prozent der Bevölkerung ist weltweit gesehen extrem hoch, abgesehen von den Ausreißern in Ländern, die aufgrund ihrer religiösen Prägung ohnehin auf tierische Nahrung verzichten. Neben diesen Zahlen gibt es immer mehr kleine und direkt wahrnehmbare Indikatoren, dass auch große Unternehmen auf die neuen Bedürfnisse der Verbraucher eingehen. Lufthansa bietet seit Ende Oktober 2014 erstmals auch vegetarische Mahlzeiten auf Kurzstreckenflügen in der Economy an (nur noch nicht auf den ganz kurzen Strecken), vegane Supermärkte eröffnen in deutschen Großstädten, Discounter erweitern ihr Sortiment, die Marke Burberry ist vom Image völlig ruiniert, weil sie immer noch echten Pelz verarbeitet. Hier geht es nicht darum, auf eine kleine Gruppe von Weltverbesserern einzugehen, hier geht es auch ums knallharte Business.

Modernes Kunstleder im neuen smart forfour / smart fortwo

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Früh hatte das Fisker erkannt, die kleine Sportwagenschmiede aus Kalifornien bot den Fisker Karma mit komplett umweltkonformen Materialien an. Mikrofaser (bekannte Markennamen z.B. Alcantara oder Dinamica) als hochwertiger Sitzbezug und im Cockpit nur Holz, das von selbst in einen See gefallen war. Nun ist es schwer, als kleiner Autobauer zu bestehen, und so schlenderte auch Fisker in die Insolvenz. Aber der Gedanke war gut.

„Nachhaltigkeit wird für Großunternehmen nicht nur aufgrund des stärker werdenden Drucks der Gesetzgebung bedeutsamer. Neben der EU-Richtlinie, die ab 2017 die Veröffentlichung nicht-finanzieller Informationen von bestimmten Unternehmen fordert, verlangen auch die Aktionäre, dass sich Unternehmen mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzen. In der Bundesrepublik Deutschland betrifft das nicht nur Themen wie Umweltverschmutzung und die Einhaltung von Menschenrechten, sondern auch Themen wie den Tierschutz. Insbesondere Verbraucher hinterfragen die Herkunft der Produkte in einem immer stärkeren Ausmaß. Daher wird es für Unternehmen wichtiger, auch hier Transparenz zu schaffen“, so Nachhaltigkeits-Expertin Imke Wasner von der Unternehmensberatung envistra.

Feinstes Leder im Range Rover: Optisch top, tierisch flop

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Folgende Fragen stellten wir nun, um eine größtmögliche Transparenz zu schaffen:

Der Fragenkatalog an die Industrie (Zulieferer haben jeweils spezialisierte Fragen erhalten)

– Gibt es bei der Produktion Überlegungen und Maßnahmen zum Tierschutz, wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?

– Welche tierischen Erzeugnisse kommen bei der Produktion zum Einsatz? (sowohl auf „grober“ Ebene – Leder & Co. – als auch auf „feiner“ Ebene z.B. im Bereich von Klebern)?

– Wie viele Tier-Häute werden im Durchschnitt für eine komplette Leder-Ausstattung benötigt?

– Kann das Unternehmen die Herkunft und die Haltungsbedingungen der zugelieferten Tier-Produkte bis zum ursprünglichen Produzenten nachvollziehen?

– Inwiefern kommen Ersatzprodukte à la Kunstleder zum Einsatz und wo genau / in welchem Umfang (z.B. Lenkrad Echtleder, Seitenwangen der Sitze Kunstleder usw.)

– Gibt es eine Möglichkeit, auf Anfrage bei der Neuwagen-Bestellung bewusst auf tierische Produkte zu verzichten? (Betrifft Premium/Luxus-Bereich: Auch, wenn die Grundkonfiguration z.B. serienmäßige Leder-(Teil-)Sitze enthält?)

– Verzeichnen Sie in letzter Zeit eine zunehmende oder abnehmende Nachfrage nach Leder-Look im Automobil?

– Glauben Sie, dass es dabei für die Kunden eine Rolle spielt, ob Echtleder oder Kunstleder zum Einsatz kommt?

– Abschließend: Hat das Unternehmen Interesse daran, die Produktion umwelt- und tiergerechter auszurichten, wenn ja, mit welchen Maßnahmen?

Alle großen Unternehmen bieten heutzutage ausführliche Nachhaltigkeitsberichte an. Sie enthalten allerdings keine Angaben zu den Tierhaltungsbedingungen oder Details zu verwendeten Tier-Materialien. Denn im so genannten GRI Leitfaden für Nachhaltigkeitsberichte ist bisher noch nicht vorgeschrieben, dass man auf das Thema Tierschutz eingehen muss, abgesehen bei speziellen Branchen wie der Nahrungsmittelindustrie.

Skoda Superb & Seat Leon SC: Skoda und Seat setzen häufig Kunstleder an den Seitenwangen und Alcantara für die Sitzflächen ein – eine optimale Verbindung aus attraktiver Optik und guten Klima-Eigenschaften
Skoda Superb Innenraum schwarz mit der Sitzkombination Alcantara/Leder, Foto: Skoda

Seat Leon SC Alcantara-Leder-Mix, Foto: Autogefühl

Die Antworten

Um eines vorweg zu nehmen: Nur ein einziger Autohersteller ging auf die Fragen ganz direkt ein: Volvo. Das spricht bei den anderen Herstellern für mangelnde Transparenz, die bei diesem Thema gegeben wird. Ein weiterer wichtiger Faktor ist auch der Aufwand, den solch eine Anfrage macht. Es ist keine modellbezogene Frage, die sich mit einem Blick in die Preisliste klären lässt. Diese Anfrage macht viel Arbeit und Rechercheaufwand, weshalb man nachvollziehen kann, wieso sich die Hersteller so schwer damit tun. Schade ist dabei nur, dass die Hersteller damit größtenteils die Chance verpassen, sich der Öffentlichkeit gegenüber transparent zu geben. Hervorzuheben ist ferner der Zulieferer Johnson Controls, der ebenfalls direkt alle Fragen beantwortete.

Audi

Echtleder-Verwendung bei Audi, hier im neuen Audi TT
Neuer Audi TT Innenraum, Foto: Audi

Bei Audi spürt man eine wachsende Nachfrage nach hochwertigem Leder in den Top-Segmenten, gerade bei Audi A8 und Audi A7. Parallel bietet Audi aber auch attraktive Alternativ-Lösungen wie modern gestylte Sitze aus Stoff oder Alcantara-Kombinationen. Gerade Audi hat die Verbindung Alcantara innen / Leder außen bei den Sitzen im Markt bekannt gemacht. Auch hier vermuten wir, dass die Seitenwangen dann aus Kunstleder bestehen, eine zuverlässige Antwort darauf erhält man allerdings nicht.

Eher versucht man in der Industrie, bei der Frage nach Echt- oder Kunstleder immer Echtleder zu antworten, als wenn es peinlich wäre, Kunstleder zu verwenden – obwohl das Gegenteil der Fall ist.

Boxmark

Der große Tierhaut-Verarbeiter Boxmark beliefert zahlreiche Automobil-Marken, insbesondere auch im Premium- und Luxusbereich. Nun stellt dieses Unternehmen innerhalb der Lebewesenindustrie ein vergleichsweise lobendes Beispiel dar, weil man für Branchenverhältnisse transparent arbeitet, schnell auf Anfragen reagiert und sich auch in Umweltfragen engagiert. So setzt Boxmark nach eigenen Angaben weltweit auf ein chromfreies Gerbungsverfahren. So kann man davon ausgehen, dass Boxmark vergleichsweise hohe Standards ansetzt. Welche Folgen für Mensch und Tier der Einsatz von Chemikalien bei der Lederproduktion hat, kann man sich zum Beispiel gut in Manfred Karremanns Dokumentation „Gift auf unserer Haut“ ansehen.

Zur Frage, ob das Unternehmen nachvollziehen kann, wie und wo die Tiere gelebt haben und getötet worden sind, antwortet Boxmark-Sprecherin Sabine Trammer: „Die Rohware ‚Haut‘ wird heutzutage von Schlachthausverbänden oder anderen Unternehmen, welche strengen EU-Auflagen unterliegen, angeboten. Die Herkunft der Tiere muss gegenüber dem Veterinär-Amtsarzt nachweisbar sein. Dies bedeutet, dass von jedem Anbieter für die von ihm verkaufte Rohware ein Veterinärzeugnis zum Schutz des Verbrauchers vorzulegen ist. Diese Nachweise liegen uns auch vor. Zusätzlich nehmen wir bei unseren Lieferanten und Schlachthöfen in regelmäßigen Abständen qualitätssichernde Auditierungen vor.“ Auf der Boxmark-Homepage bedient man sich übrigens der Formulierung „Leder besteht aus nachwachsenden Rohstoffen“ – eine zynische Ansicht gegenüber einem Lebewesen, das Gefühle, ein Gesicht, eine Mutter und einen Vater hatte.

Zudem verweist Boxmark auch auf den viel verbreiteten Mythos, dass Leder lediglich ein Abfallprodukt der Fleischindustrie sei. Wer das einfach einmal googelt oder in die YouTube-Suche eintippt, findet schnell weitergehende Informationen. Denn erstens gibt es auch Produktionen, bei denen die Tierhaut der primäre Tötungsgrund ist, und selbst wenn nicht, so finanziert man mit dem Kauf von Leder in jedem Fall die Industrie, die von der Tötung von unschuldigen Lebewesen lebt.

Fragt sich also, wieso ein so dekorierter Zulieferer wie Boxmark nicht auch die Zeichen der Zeit erkennt und auch Produktalternativen anbietet: „Nein, zu echtem Leder gibt es keine Alternative. Leder ist ein Stück Natur und hinsichtlich der Summe seiner Gebrauchseigenschaften unübertroffen. Jede Haut ist einzigartig, mit unzähligen unterschiedlichen Naturmerkmalen. Aufgrund dieser natürlichen Qualitätszeichen ist jedes Endprodukt ein Unikat“, so Boxmark-Sprecherin Sabine Trammer.

Dabei lässt Boxmark außer Acht, dass Echtleder viel stärker behandelt werden muss als Alternativ-Produkte und das Endprodukt mit einem natürlichen Produkt kaum mehr etwas zu tun hat.

Continental

Acella® Bezugsmaterial von Benecke-Kaliko

Der weltgrößte Autozulieferer Continental bietet selber keine Echtleder-Produkte an, sondern nur Kunstleder-Bezüge für Sitze. Gleichzeitig enthüllt der Zulieferer eine Wahrheit, die gerade Premium-Marken vielleicht eher verschweigen, um konservative Leder-Kunden nicht zu verschrecken – obwohl in dieser Tatsache eher etwas positives steckt: „Echtes Leder wird heute in der Automobilindustrie fast nicht mehr eingesetzt, weil Kunstleder haltbarer ist und keine Qualitätschwankungen hat. Selbst in vielen Oberklasse- oder Premium-Fahrzeugen sind höchstens noch Teilbereiche in echtem Leder, der Rest ist Kunstleder und Sie können den Unterschied praktisch nicht erkennen.“

Sehr interessant. Allerdings muss man auch berücksichtigen, dass dies die Sichtweise eines Zulieferers ist, der eben keine Echtleder-Produkte vertreibt. Es ist also im Sinne von Continental, wenn die Ersatzprodukte benutzt werden. Effektiv muss man sagen, dass Continental als Hersteller von Leder-Ersatzprodukten damit wahrscheinlich einen der größten Beiträge zum Tierschutz leistet. Denn je hochwertiger die Ersatzstoffe, desto eher können diese selbst im Premium-Bereich verwendet werden und desto eher werden diese beim Kunden akzeptiert.

Zuständig für die Produktion des Ersatzmaterials bei Continental ist die Benecke-Kaliko AG mit Sitz in Hannover. Die Firma ist Entwickler und Hersteller von technischen und dekorativen Flächenmaterialien aus Kunststoffen und Teil der ContiTech-Gruppe, gehört also zu Continental.

Im Fokus der Produktion steht das Bezugsmaterial „Acella“, das laut Benecke-Kaliko eine besonders weiche Haptik bietet, alterungs- und abriebbeständiger sowie umwelt- und gesundheitsschonender als Echtleder ist und geringere Emissionen verursacht.

Benecke-Kaliko schreibt: „Wegen seiner gegenüber Echtleder deutlich besseren Alterungs- und Abriebbeständigkeit wird das Material auch bei Taxi- und Behördenfahrzeugen verschiedener Automobilhersteller im Sitzbereich eingesetzt. Instrumententafeln, Türinserts, Schalt- und Bremshebelverkleidungen sowie Spannhimmel sind neben dem Polsterbereich typische Anwendungsgebiete. Nicht nur beim Preis hat Acella klare Vorteile – Leder ist um ein Vielfaches teurer. Das vermeintliche Naturprodukt Leder, das einem aufwändigen chemischen Prozess unterzogen wird, ist zudem nur schwierig in gleichbleibender Qualität (Narbung, Farbe, Dicke, Dichte etc.) zu bekommen. Hier liegen deutliche Vorteile des Bezugsmaterials von Benecke-Kaliko, das in gleichmäßiger Qualität mit einer hochwertigen Lederoptik und -haptik verfügbar ist.

Die Temperaturbeständigkeit von Acella liegt deutlich über der von Echtleder, das unter Temperatureinfluss zur Versprödung neigt. Phänomene wie das Aufglänzen der Oberfläche bei der Verarbeitung oder die Versprödung im Gebrauch treten bei dem Material nicht auf. Zudem hat es eine hohe Kälteflexibilität.

Bei der Geruchsprüfung ist das besonders emissionsarme Material Acella Eco green konventionellen Systemen deutlich überlegen. Es punktet auch im Vergleich zu den mit Gerb- und Ausrüstungsmitteln versehenen Ledern, da es diese schwerflüchtigen Verbindungen nicht enthält.

Mit der Variante Acella Eco natural hat Benecke-Kaliko zusätzlich ein Bezugsmaterial im Portfolio, das zu mehr als der Hälfte aus nachwachsenden Rohstoffen besteht. Auf Kundenwunsch kann für beide Produkte zusätzlich die Öko-Tex-Standard-100 Zertifizierung beantragt werden.

Serienmäßig wird Acella Eco green unter anderem im Volvo XC60 eingesetzt.

BMW

Ledersitze im BMW X3

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Von BMW erhielten wir bislang kein offizielles Statement. In Hintergrundgesprächen wurde jedoch klar, dass unser vorgestelltes Thema bei BMW schon mehrfach diskutiert wurde. Im Fokus stehen dabei Fragen, ob und in welcher Qualität Leder an bestimmten Teilen im Fahrzeug angebracht wird. Schließlich fasst der Kunde nicht jeden Bereich im Auto direkt an. Eine Rolle dabei spielen natürlich auch die Kosten. Denn nicht alle Kunden werden dazu bereit sein, auch für Echt-Leder an Türinnenseiten oder Armaturenbrett extra zu zahlen.

Ford

Leder-Sportsitze im Ford Focus ST

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Von Ford erhielten wir innerhalb der vorgegebenen Zeit keine Antworten.

Johnson Controls

Der neue Sitz mit Inkjet-Technologie erlaubt nicht nur einen flexiblen Oberflächenbezug, sondern auch individuelle Bedruckungen des Sitzes in Massenproduktion
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Als einzige Firma geht der große Zulieferer Johnson Controls direkt auf unsere Fragen ein:

„Grundsätzlich bedienen wir bei Johnson Controls Automotive Seating als Tier 1 Zulieferer alle führenden Automobilhersteller und helfen diesen, sich mit ihren Fahrzeugen im Markt zu differenzieren. Entsprechend folgen unsere Produkte den Spezifikationen, die von den OEMs, also den Herstellern, vorgegeben werden. Zudem handelt es sich bei Autositzen um sicherheitsrelevante Bauteile, die sowohl gesetzlich vorgegebene wie auch OEM-spezifische Anforderungen erfüllen müssen. Entsprechend liegt die Entscheidung, welche Materialen verwendet werden sollen, nicht bei Johnson Controls, sondern bei den Kunden.“

– Gibt es bei der Produktion Überlegungen und Maßnahmen zum Tierschutz, wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?
„Johnson Controls ist nicht in der Lederproduktion tätig, wir erhalten von unseren Zulieferern fertige Lederprodukte als Lederhäute. Wichtig ist aber zu wissen, das die Tiere vorrangig zur Fleischproduktion geschlachtet werden und das Leder ein Nebenprodukt ist. Im Automobilsektor liegt der Verschnitt bei der Lederverwendung  je nach Qualitätsanspruch bei ca. 30 %, da Leder keine ideale geometrische Form besitzt und natürliche Fehler aufweist. Aber auch dieser Verschnitt wird weiter verwendet, z.B: als Lefa (regeneriertes Leder) bei z.B. Buchrücken und anderen Accessoires.“

– Welche tierische Erzeugnisse kommen bei der Produktion zum Einsatz? (sowohl auf „grober“ Ebene – Leder & Co. – als auch auf „feiner“ Ebene z.B. im Bereich von Klebern)?
„Bei Johnson Controls Automotive Seating kommt als tierisches Produkt Leder als Sitzbezug zum Einsatz.“

– Wie viele Tier-Häute werden im Durchschnitt für eine komplette Leder-Ausstattung benötigt?
„Im Schnitt benötigen wir 1,5 – 2 qm Leder für einen Vollledersitz. Wir beziehen das Leder in der Regel als Stanzteile (fertige Zuschnitte) vom OEM-gelisteten Lieferanten. Ledersitze kommen generell hauptsächlich bei höherpreisigen Fahrzeugen zum Einsatz.“

[Anmerkung der Redaktion: Eine Kuh liefert ca. 5 qm Leder, abzüglich des Verschnitts bräuchte man demnach eine Kuh für zwei Autositze, was sich auch in etwa mit der Angabe von Volvo deckt]

– Kann das Unternehmen die Herkunft und die Haltungsbedingungen der zugelieferten Tier-Produkte bis zum ursprünglichen Produzenten nachvollziehen?
„Grundsäzlich geben uns die OEMs, also die Fahrzeughersteller vor, von welchen Zulieferern das Leder bezogen werden muss. Entsprechende Informationen liegen demzufolge bei den Produzenten.“

– Inwiefern kommen Ersatzprodukte à la Kunstleder zum Einsatz und wo genau / in welchem Umfang (z.B. Lenkrad Echtleder, Seitenwangen der Sitze Kunstleder usw.)
„Einzig relevantes „Ersatzprodukt“ für uns ist Kunstleder bei Sitzen. Dieses kommt vor allem in Seitenwangen oder Sitzrückseiten zur Anwendung.“

– Vernehmen Sie jüngst eine zunehmende oder abnehmende Nachfrage nach Leder-Look im Automobil?
Bei hochpreisigen Fahrzeugen wird häufiger eine Lederausstattung für die Sitze nachgefragt, Leder ist wieder in. Neben Volllederausstattungen werden auch z.B. Leder-Alcantara-Mischungen nachgefragt.“

– Glauben Sie, dass es dabei für die Kunden eine Rolle spielt, ob Echtleder oder Kunstleder zum Einsatz kommt?
„Besonders bei höherpreisigen Fahrzeugen wird explizit echtes Leder nachgefragt, da mit diesem Premiumqualität assoziiert wird.“

– Abschließend: Hat das Unternehmen Interesse daran, die Produktion umwelt- und tiergerechter auszurichten, wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
„Selbstverständlich engagiert sich Johnson Controls für Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. Informationen über die vielen verschiedenen Initiativen entnehmen Sie bitte unserer Website zum Thema Nachhaltigkeit. Dort finden Sie auch unseren Nachhaltigkeitsbericht sowei weitere Dokumentationen zu diesem wichtigen Thema.“

Mercedes

Luxus im klassischen Begriff im neuen S65AMG Coupé
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Zu unseren Fragen äußert sich Mercedes wie folgt:

„Unsere Produkte richten sich nach den Ansprüchen und Bedürfnissen unserer Kunden. Mit den angebotenen Modellausstattungen entsprechen wir dieser Nachfrage. In unserem Angebot finden sich zahlreiche Modelle, die kein Leder beinhalten.

Die Marke Mercedes-Benz toleriert und unterstützt keine unethische Behandlung von Tieren. Das Leder, das wir verwenden, kommt von Rindern, die wegen der Produktion des Nahrungsmittels Fleisch und nicht wegen des Leders geschlachtet werden. Das Leder selbst ist dabei lediglich ein Nebenprodukt.“

Diese Argumentation kenne wir bereits, sie weicht aus und ist eine moralische Entschuldigung. Man würde schließlich auch nicht die Haut von Menschen verwenden, nur weil sie bereits tot sind.

Was allerdings positiv bei Mercedes auffällt: Immer mehr Modelle, auch im sehr hochpreisigen Bereich, verwenden die Ledernachbildung Artico, häufig auch in Verbindung mit Mikrofaser (hier vom Hersteller Dinamica). Bestes Beispiel: Der neue Mercedes-AMG GT, die Serienausstattung hat hier die Sitzkombination Artico/Dinamica. Übrigens wird die Ledernachbildung auch häufig für Taxis benutzt. Warum? Weil sie langlebiger und gleichzeitig günstiger ist.

Opel

Neuer Opel Corsa: Sitzflächen können auch ohne Leder interessant gestaltet werden
Das Cockpit gibt sich hochwertiger und etwas wenig schrill wie das Interieur des kleineren Adam - Foto: Opel

Von Opel erhielten wir innerhalb der vorgegebenen Zeit keine Antworten.

Porsche

Ledersitze im neuen Porsche Macan

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Von Porsche erhielten wir innerhalb der vorgegebenen Zeit keine Antworten.

Volkswagen

Der neue VW Passat: Entweder Voll-Leder oder Alcantara innen und (vermutlich) Kunstleder außen

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Das Statement von Volkswagen:

„Generell lässt sich schon mal festhalten, dass der Volkswagen Konzern als größter Autobauer Europas seine Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft sehr ernst nimmt. Volkswagen ist darum dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten, der Menschenrechte, gute Arbeitsbedingungen und Umweltschutz weltweit fördert. Diesen Anspruch gibt Volkswagen mit dem Konzept „Nachhaltigkeit in den Lieferantenbeziehungen“ auch an seine Zulieferer weiter.

Der Einsatzbereich von Leder in unseren Modellen beinhaltet u.a. Sitzgarnituren, Lenkräder, Schaltsäcke sowie Instrumententafeln bzw. Interieur. Für solche Ausstattungen können auch Alternativmaterialien gewählt werden, zum Beispiel Stoffvarianten für die Sitze oder Kunststoffvarianten bei Lenkrädern.

Der Volkswagen Konzern engagiert sich zudem seit Jahren in Sachen Tierschutz. Ein Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit dem Naturschutzbund (NABU), um „die biologische Vielfalt zu sichern“ – wie es 2007 als Unternehmensziel formuliert worden ist. So unterstützt Volkswagen unter anderem die NABU-Initiative „Willkommen Wolf“, das Artenschutzzentrum in Leiferde (Kreis Gifhorn) sowie zahlreiche Projekte zur Renaturierung von Mooren.

Der Volkswagen Konzern setzt sich aber auch seit Jahren in vielen anderen Ländern für den Schutz bedrohter Tiere ein. Einige Beispiele: In China wird das Panda-Forschungszentrum im Pekinger Zoo unterstützt, in Japan das Projekt „Polar Bears International“, das Eisbären vor dem Aussterben bewahrt. In Mexiko fördert Volkswagen Projekte zur Erforschung und Erhaltung der Artenvielfalt. In Brasilien wird der „Parque Ecologico“ in Sao Paulo gefördert, wo vom Aussterben bedrohte Tiere wie der Andenkondor, der Cerrado-Wolf und der Brillenbär artgerecht gehalten werden. In Südafrika unterstützt der Konzern den Dyer Island Conservation Trust zum Erhalt der „Big Five“ der Meere (Pinguin, Weißen Hai, Robbe, Delphin und Wal). Die Nutzfahrzeugsparte des Unternehmens unterstützt zudem die Forever Wild Nashornschutzinitiative der Wilderness Stiftung im Kampf gegen Wilderer in Afrika.“

Volvo

– Gibt es bei der Produktion Überlegungen und Maßnahmen zum Tierschutz, wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?
„Ja, wir berücksichtigen Vorschriften zum Tierschutz bei unseren Lederzulieferern, die diese Vorschriften dann auch umsetzen müssen.“

– Welche tierischen Erzeugnisse kommen bei der Produktion zum Einsatz? (sowohl auf „grober“ Ebene – Leder & Co. – als auch auf „feiner“ Ebene z.B. im Bereich von Klebern)?
„Derzeit nutzen wir Leder, das als Nebenprodukt von Rindern in der Fleisch- und Milchproduktindustrie anfällt.“

(Und wieder dieselbe Argumentation, die sehr beliebt zu sein scheint.)

– Wie viele Tier-Häute werden im Durchschnitt für eine komplette Leder-Ausstattung benötigt?
„Im Schnitt benötigen wir 2,5 Tierhäute für eine komplette Lederausstattung.“

– Kann das Unternehmen die Herkunft und die Haltungsbedingungen der zugelieferten Tier-Produkte bis zum ursprünglichen Produzenten nachvollziehen?
„Dort forschen wir stets nach, weil die so genannten Five freedoms im Tierschutz gewährleistet werden müssen. Dabei beobachten wir die Tiere von der Aufzucht bis zum Tod. Die „Five freedoms“ bestehen aus ausreichend Nahrung und Wasser, einer komfortablen Unterkunft, einer schmerzfreien Behandlung, der Möglichkeit, artgerechtes Verhalten zu zeigen und der Vermeidung von Angst und Stress.“

– Inwiefern kommen Ersatzprodukte à la Kunstleder zum Einsatz und wo genau / in welchem Umfang (z.B. Lenkrad Echtleder, Seitenwangen der Sitze Kunstleder usw.)
„Bei einem Leder-Interieur wird Kunstleder für die Innenseiten der Türen benutzt sowie für die Abdeckung der Armlehne und die Polsterungen an den Seiten. Alle Sitzflächen/Innenflächen bestehen aus Echtleder.“

– Gibt es eine Möglichkeit, auf Anfrage bei der Neuwagen-Bestellung bewusst auf tierische Produkte zu verzichten? (Betrifft Premium/Luxus-Bereich: Auch, wenn die Grundkonfiguration z.B. serienmäßige Leder-(Teil-)Sitze enthält?)
„Wir überlegen gerade, diese Möglichkeit in künftigen Fahrzeugen anzubieten, für alle Kunden, die kein Echtleder wünschen.“

– Vernehmen Sie jüngst eine zunehmende oder abnehmende Nachfrage nach Leder-Look im Automobil?
„Die Nachfrage ist konstant hoch, Volvo verkauft zu drei Vierteln Fahrzeuge mit (Teil-)Ledersitzen.“

– Glauben Sie, dass es dabei für die Kunden eine Rolle spielt, ob Echtleder oder Kunstleder zum Einsatz kommt?
„Tatsächlich vernehmen wir immer mehr Anfragen von Kunden, die sich für die genaue Herkunft und die Haltungsbedingungen der Tiere interessieren. Einige Kunden sind komplett gegen Leder, aber der Großteil der Kunden möchte wissen, ob die Tiere artgerecht behandelt wurden.“

– Abschließend: Hat das Unternehmen Interesse daran, die Produktion umwelt- und tiergerechter auszurichten, wenn ja, mit welchen Maßnahmen?
„Ja, wir werden auch künftig darauf achten, dass die Five freedoms im Tierschutz erfüllt sind.“

Echtes Leder und Kunstleder unterscheiden

Es gibt gewissen Grundregeln, nach denen man echtes Leder von Kunstleder unterscheiden kann. Allerdings verschwimmen diese Regeln nach und nach, aus mehreren Gründen.

Drückt man das Leder ein, so springt Kunstleder schneller wieder zurück in die ursprüngliche Form. Echtleder bleibt dagegen länger gewellt. Dadurch ergibt sich auf Dauer auch der Effekt, dass Echtledersitze nach einigen Jahren so aussehen können wie ein Leder-Sofa von 1900. Durch die Fortschritte in der Haptik bei der Produktion des Kunstleders ist es aber schwieriger geworden, Echtleder zu erfühlen.

Echtes Leder riecht tendenziell stärker als Kunstleder. Riecht es gar nicht, ist es vermutlich Kunstleder. Dadurch, dass Naturleder wie Kunstleder aber beidermaßen behandelt/imprägniert und parfümiert werden (können), kann man sich auch täuschen.

Kunstleder hat keine Unregelmäßigkeiten. Gleichzeitig wird bei Echtleder aber gerade im Premiumbereich darauf geachtet, eben kein Leder mit Unregelmäßigkeiten zu wählen. Dazu wählt man Rinder, die auf der Weide nicht mit Stacheldrahtzäunen in Berührung kommen können und so nicht Gefahr laufen, sich die Haut einzuritzen. Zudem verschwinden manche Unebenheiten durch die ausführliche Behandlung. In jedem Fall lässt sich sagen, dass man durch die Prozessierung bei einem Echtledersitz im Auto keinesfalls mehr von einem „natürlichen“ Produkt reden kann.

Fazit: Den Autoherstellern liegen natürlich die Informationen vor, wo das Leder herkommt und wie es produziert wird. Nur gibt es dafür noch keinen Druck von Gesetz oder Nachhaltigkeitsbericht. Die Öffentlichkeit, der Kunde, kann aber beim Kauf die entsprechenden Anreize setzen oder Fragen aufwerfen.. Die Chance, mit dem Thema Tierschutz mit einer maximalen Transparenz umzugehen, haben die meisten Hersteller verpasst. Keiner der Hersteller hat offensichtlich ausreichend Ressourcen und/oder Interesse, sich diesem Thema ausführlich zu widmen. Dass sich solch eine Anfrage in die Lebenswirklichkeit der PR-Arbeit schwer integrieren ist, kann man nachvollziehen. Doch das verstärkte Interesse der Verbraucher an den Herstellungsbedingungen und den genauen Bestandteilen der Produkte, die sie kaufen, wird sich letztlich durchsetzen und den Druck weiter erhöhen, im Bereich der Verwendung tierischer Materialien mehr Transparenz zu zeigen.

Vom Zulieferer Continental erfahren wir, dass die Verwendung von Echtleder aus Kosten- und Nutzengründen in der Masse stark abgenommen hat. Vom Johnson Controls wissen wir, dass im Top-Luxus-Bereich die Nachfrage dagegen steigt. Wie überall in der Gesellschaft öffnet sich hier also eine Kluft. Doch selbst im Top-Segment eröffnen sich hier Chancen. So könnten Hersteller, wenn sie Leder verwenden, den Kunden transparent offen legen, wie die Haltungsbedingungen sind und wo das Leder herkommt. Dies könnte vielmehr ein weiteres Gütekriterium sein. Nicht nur der Kunde ist in der Pflicht, auch der Hersteller. Man kann nicht alles auf den Kunden abschieben. Insbesondere das Argument, dass Leder nur ein Abfallprodukt der Fleischindustrie sei, ist schlichtweg eine falsche Entschuldigung. In jedem Fall wird das Töten von unschuldigen Lebewesen mit dem Kauf von Tierhaut finanziert.

Bei den Herstellern und sicher auch noch bei vielen Kunden herrscht noch der Gedanke vor, dass echtes Leder in jedem Fall besser ist. Dass man darauf im Sommer schwitzt und im Winter friert, spielt meist auch keine Rolle. Schon heute gibt es viele attraktive Alternativen, etwa Mikrofaser (Alcantara/Dinamica) für die Innenbahnen und Kunstleder für die Außenseiten der Sitze. Das verbindet die Vorteile von Kosten, Tierschutz und Klimaeigenschaften – sogar im Luxus-Segment.

Text: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Fotos: Autogefühl / Hersteller