Google-Auto und Apple-Car: Angriff auf die Autobranche

Nach Google soll nun auch Apple an der Entwicklung eines Elektroautos arbeiten. Wahrscheinlich wird auch Apple beim Projekt mit dem Namen Titan die Idee des vernetzten Fahrens gleich mit im Blick haben. Der Schritt ist folgerichtig und war mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Nicht ohne Grund ist es Apple – neben Google der zweite große IT-Anbieter mit eigenem Betriebssystem für mobile Endgeräte – der in den Mobilitätsmarkt einsteigen könnte. Die Kompetenz für digitale Vernetzung wird die Automobilbauer der Zukunft auszeichnen und das Abschöpfen eines immer größeren Teils der automobilen und automobilnahen Wertschöpfung garantieren. Ein Gastbeitrag von Stephan Rammler

Steht die Branche damit vor dem Neustart, mit doppeltem Fahrerwechsel – dem auf dem Fahrersitz des Autos und dem in den Führungspositionen der Autobranche? Vieles spricht dafür, dass der langanhaltende und große Erfolg der etablierten Autobauer in Zukunft nicht mehr viel weiter getrieben werden kann. Ihre technische Kompetenz liegt bei den thermischen Antrieben, ihre unternehmerische Strategie beruht auf Wachstum mit hohen Stückzahlen. Doch die Rahmenbedingungen für Mobilität verändern sich rasant. Bevölkerungswachstum, urbane Verdichtung und mit steigender Nachfrage massiv anwachsende Probleme wie Raumknappheit, mangelnde Verkehrssicherheit und Emissionsprobleme erzwingen neue Mobilitätskonzepte, insbesondere auf den Wachstumsmärkten der Mobilität in Asien und Lateinamerika.

Diese neuen Konzepte werden auf emissionsarmen Antrieben und einer effizienteren Nutzung von Fahrzeugen und Infrastrukturen aufbauen. Die nachwachsende Kundschaft pocht immer weniger auf den betriebswirtschaftlich entbehrlichen Besitz von Autos. Sie erwartet stattdessen den flexiblen, verlässlichen und zugleich kostengünstigen Zugang zu modernen Verkehrssystemen. Selbstverständlich will man dabei auch unterwegs möglichst online und vernetzt sein.

Zugleich kommt die Digitalisierung über uns wie eine Welle, die wir weder dämmen noch kanalisieren können. Sie hat eine kreative Zerstörungswucht im Schumpeterschen Sinne, die nichts und niemanden unverändert zurück lässt. Am Horizont taucht das Bild einer allgegenwärtig vernetzten technologischen Meta-Intelligenz auf, einer sozio-technischen Mischwelt aus Netzen, Geräten, Software und menschlichen Verhaltensweisen und Lebensstilen. Wie auch immer wir das moralisch bewerten, und ob es uns gefällt oder nicht: Diese Entwicklung wird auch die Mobilitätswirtschaft umfassend revolutionieren.

Google-Auto (Quelle: Google)
GoogleVehiclePrototype

GoogleSelfDriving-rendering

Schon heute entwickelt die Gründerszene der digitalen Share Economy mit hohem Tempo immer neue Foren, Netzwerke und Applikationen für Wegeplanung, Verkehrsflussoptimierung, Parkplatzsuche und für die mit anderen geteilte Fahrzeugnutzung wie Carsharing, Bikesharing und Ridesharing. So entstehen digitale Marktplätze für vernetzte und verkehrsträgerübergreifende Mobilität. Die Automobilbranche hat angesichts dieser Entwicklungen nur die Chance, die digitale Welle ebenfalls reiten zu lernen und die Technologien klug zu nutzen.

Noch ist offen, wie sich IT-Branche und traditionelle Autobauer dabei arrangieren werden, ob sie konkurrenz- oder eher kooperationsbasierte Strategien verfolgen werden. Nach Lage der Dinge kann man aber von zwei Thesen ausgehen. Erstens erfordert die absehbare Entwicklung der Mobilitätsnachfrage eher Kooperation als Konkurrenz. Die Herausforderungen sind so groß, dass sie ökologisch, ökonomisch und sozial nur in gemeinsamer Anstrengung der Akteure gelöst werden können. Die bislang enorme Konkurrenz an den Verkehrsmärkten ist hier womöglich eher hinderlich.

Zweitens sitzt die IT-Branche strukturell ohnehin am längeren Hebel, weil ihre Produkte enormen Erfolg genießen und die Kundschaft zunehmend eine umfassend vernetzte Lebenswelt erwartet. Die traditionellen Autobauer sind auch aus dieser Sicht gut beraten, Kooperation zu suchen, statt in einen schon heute aussichtslosen Wettbewerb einzutreten.

Auf Basis dieser Annahmen lassen sich die Autoprojekte von Google und Apple als Signale an die Autoindustrie bewerten. Die beiden Unternehmen könnten damit sagen wollen: Wenn wir wollten, könnten wir sehr schnell in die Produktion elektromobiler und umfassend vernetzter Fahrzeugflotten einsteigen. Wir haben das Kapital; wir haben die Organisationskultur, um mit Erfolg sehr unterschiedliche Herausforderungen gleichzeitig handhaben zu können; wir können uns die automobile Technologie und die kreative Kompetenz beschaffen. Und schließlich spielen uns sowieso alle zu erwartenden Nachfragetrends in der Mobilität – wie auch in den Bereichen Energie, Gesundheit und Wohnen – in die Hände. Ihr solltet besser mit uns zusammenarbeiten, denn davon hätten alle Beteiligten am Ende mehr.

Zwar sind die aktuellen Entwicklungen noch unübersichtlich und verlaufen mit hoher Geschwindigkeit, so dass bei Prognosen Demut geboten ist. Dennoch lässt sich die Spekulation noch weiter treiben. Denkbar sind vier Szenarien zu den Mobilitätsplänen der IT-Branche:

Google-Auto Entwicklung: Erst das System in einem Toyota Prius, dann im eigenen Aufbau. Quelle: Google
Google_PriusTest

GoogleCar_testing

1. Google und Apple wollen selber Autos bauen. Google-Car und Apple-Titan sind der erste Schritt hin zur Verknüpfung von Elektromobilität und vernetztem beziehungsweise automatischem Fahren, ökologisch verträglich, hocheffizient und sicher. In einer Zeit, in der immer mehr Wertschöpfung in Elektronik und digitalen Vernetzungstechnologien steckt, verringert sich der Anteil der Wertschöpfung, die die klassische Domäne der Autobauer ist. Google und Apple – oder IT-brancheninterne Kooperationen – sehen hier Chancen, selber Automobilhersteller (OEM) zu werden.

2. Die IT-Firmen starten mit ihren Autoprojekten provokante Testballons, die die traditionellen Hersteller verunsichern. So versuchen sie einen Zusammenschluss mit den Großen der Autobranche zu erreichen, zu für sie günstigen Bedingungen, etwa mit der Hoheit über die Fahrerdaten. Vielleicht liegt auch eine Kooperation mit Tesla nahe. Der Vorteil der regionalen Fühlung im Silicon Valley wäre groß, die Imageverwandtschaft ebenso.

3. Google und Apple zielen nicht auf den Markteintritt als OEM, sondern auf die Systemführerschaft beim vernetzten automobilen Fahren. Geplant ist also kein eigenes Fahrzeug – allein oder in Kooperation mit einem Autobauer – sondern der Einstieg in alle Fahrzeuge sämtlicher Hersteller. Das Ziel ist es, umfänglich Zugang zu allen abschöpfbaren Daten zu bekommen, diese auszuwerten und mit anderen Daten zu verschneiden und neu zu vermarkten. Mit ihren Testballons wollen Google und Apple Bewegung in die Szene bringen und sich bei der Neusortierung die beste Startposition sichern, auch gegenüber den weiteren IT-Größen.

(Quelle: Google)
GoogleCar

4. Die IT-Branche will in den gesamten Markt der vernetzten verkehrsträgerübergreifenden Mobilität einsteigen. Die Digitalisierung des Autos ist ein konsequenter erster Schritt dorthin. In diesem Szenario ist die Menge und Qualität der abgreifbaren Daten am größten. Die Unternehmen haben potenziell Zugriff auf alle Menschen, die sich im urbanen Raum mithilfe digitaler Schnittstellen wie etwa Smartphone-Apps bewegen. Im idealtypischen Fall können so alle Verkehrsteilnehmer und alle Verkehrswege erfasst und ihre Daten wirtschaftlich genutzt werden. Hier ist auch die Schnittstelle zum Gütertransport am größten, der ein weiterer Testballon werden könnte.

Vor allem das letzte Szenario zeigt, dass die Digitalisierung nicht nur die Autoindustrie neu formatiert, sondern die gesamte Mobilitätswirtschaft. Die Betreiber kollektiver Verkehrssysteme – von der Straßenbahn bis zum Zug – stehen vor denselben Fragen wie die Autobranche. Schon heute haben die IT-Firmen den besten Zugang zu den Kunden und den besten Informationsstand über Wegemuster und Verkehrssituationen. Das ist eine ideale Basis für die Entwicklung und Vermarktung neuer Mobilitätsdienste.

Aus ökologischer Sicht wäre dieses Szenario das wünschenswerteste, weil es die fatale Dominanz des Autos in der zukünftigen urbanen Logistik reduziert und die individuelle Selbstbeweglichkeit neu definiert. Das im Augenblick wahrscheinlichere Szenario ist jedoch das dritte: Es schließt an die etablierte Autokultur an und verspricht deswegen kurzfristig auch der IT-Branche größere Margen.

So oder so findet in der Mobilitätswirtschaft gerade ein Fahrerwechsel statt. Der Autoindustrie wie der gesamten Branche kann man nur raten: Digitalisiert euch, sonst werdet ihr vom Markt verschwinden. Eine zukunftsfeste Garantie bietet aber auch das wohl nicht. Die kann gerade niemand geben. Sicher scheint nur eines: Für den einzelnen Nutzer wird der Preis des rasanten Transparentwerdens, sein Verlust an informationeller Selbstbestimmung in jedem Fall sehr hoch sein.

Der Zukunftsforscher Stephan Rammler ist Stephan Rammler ist Gründungsdirektor des Instituts für Transportation Design (ITD) und Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

StephanRammler

Text: Stephan Rammler

Dieser Text ist zuerst auf ZEIT ONLINE erschienen.