Luftlose Reifen: Nie mehr Angst vor einem Platten

Pneus sind rund und schwarz. Und mit Luft gefüllt. Luftlose Reifen könnten diese seit über 120 Jahre gültige Formel nun bald entkräften. Und damit auch die Angst vor einem Plattfuß. Zugleich arbeiten die Reifenbauer bereits an „smarten“ Pneus, die ihre Lauffläche variabel an unterschiedliche Geschwindigkeiten und Fahrbahnzustände anpassen können. Die Zukunft des Reifens sieht also alles andere als schwarz aus. Von Thomas Imhof

Man schrieb das Jahr 1888, als der irische Tierarzt und Erfinder John Boyd Dunlop den ursprünglich schon 1845 von Robert William Thomson patentierten Luftreifen ein zweites Mal „erfand“. Was zunächst für das Dreirad seines Sohnes gedacht war, ermöglichte bald den Einsatz des Fahrrades als Massenverkehrsmittel. Und kam noch vor der Jahrhundertwende auch auf Motorrädern und den ersten Autos zum Einsatz.

AirFreeConcept von Bridgestone - Foto: Bridgestone
AirFreeConcept von Bridgestone – Foto: Bridgestone

Rund 120 Jahre nach Dunlops Erfindung des „Pneumatikreifens“ steht nun eine zweite Reifen-Revolution vor der Tür. Denn geht es nach den Entwicklern in den Versuchsküchen der Pneu-Hersteller, gehört die Trennung von Reifen und Felge bald der Vergangenheit an. Der luftlose Reifen verheißt das Ende aller Ängste vor einem Plattfuß und des mit schmutzigen Fingern erkauften Einstellens des Luftdrucks an der Tankstelle. Vollständig recyclebar und farbig sollen die neuen Wunder-Pneus obendrein auch noch sein. Einheitslook Schwarz ade.

Michelin sorgte schon 2005 mit dem in den USA von Michelin America Research entwickelten „Tweel“ (Kofferwort aus tire, ‚Reifen‘ und wheel, ‚Rad‘) für Aufsehen. An Stelle geschlossener, mit Luft gefüllter Reifenflanken wartete die innovative Rad-/Reifen-Kombination mit flexiblen Speichen aus Polyurethan auf. Sie ließen sich extrem verbiegen, was unter anderem das Bewältigen von Stufen ermöglichte. Wegen der hohen Radlasten eines Pkw hat es der Pionier der neuen Reifengeneration jedoch bis heute nur auf Einsätze in Rollstühlen und an Dreirädern gebracht. Mehr aus Spaß (siehe Foto) zog Michelin Tweels auch mal auf einen Audi A6 auf und stellte auch ein Präsident Obama vorgeführtes Mondfahrzeug auf die neuen „Füße“. Serienmäßig eingesetzt wird der Tweel heute immerhin schon auf Kompaktladern (Mini-Raupen) des US-Herstellers Caterpillar.

Schon 2005/6 zeigte Michelin seinen extrem dehnbaren Tweel - Foto: Michelin
Schon 2005 zeigte Michelin seinen extrem dehnbaren Tweel -mehr zum Spaß – auf einem A6 – Foto: Michelin
Eingesetzt wird er bislang aber nur auf kleinen Raupen des US-Herstellers Caterpillar - Foto:  Michelin
In Serie eingesetzt wird er bislang aber nur auf kleinen „Bobcat“-Baggern des US-Herstellers Caterpillar – Foto: Michelin

Auf der letzten IAA nahm nun Hankook das von Michelin nicht weiter vorangetriebene Thema „nicht-pneumatischer Reifen“ in Form eines Prototypen wieder auf. Der farbige „iFlex“ besteht aus hochelastischem Polyurethan-Kunststoff und wird im Verbund mit der Felge gefertigt. Die hat jedoch nichts mehr gemein mit heutigen Rädern. Kommen doch hier kunstvoll und organisch miteinander verbundene Speichen zum Einsatz. Sie sollen den Druck so verteilen, dass der Reifen unter Belastung komprimiert wird und sich gleichzeitig nach oben ausdehnt, behauptet der koreanische Hersteller. Folge: Der laut Hankook zu 95 Prozent recyclebare iFlex kommt ohne Luftbefüllung aus und verbraucht dank des verringerten Rollwiderstands während des Abrollens auch weniger Energie – sprich Sprit. Er sei leichter, rollwiderstandsärmer, leiser und zudem langlebiger als herkömmliche Gummi-Walzen. Zugleich eröffneten sich größere Individualisierungsmöglichkeiten: Denn die Trägerkonstruktion, die äußere Schicht und die inneren Kammern seien in vielen verschiedenen Farben darstellbar.

Nicht-pneumatischer iFlex von Hankook - Foto: Hankook
Nicht-pneumatischer iFlex von Hankook – Foto: Hankook

Hankook Europa-Sprecher Felix Kinzer will zwar noch keinen konkreten Termin für einen Serieneinsatz nennen, hat aber schon sehr konkret das Einsatzgebiet im Kopf: „Im ersten Schritt sehen wir das Konzept für ultra-leichte zweisitzige Fahrzeuge mit einem Gewicht von zirka 410 Kilogramm und einer Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h.“ Man wolle iFlex aber so weiterentwickeln, dass er irgendwann auch auf einem Pkw seine Dienste verrichten könne.

Der Bridgestone Reifen, montiert auf einem maximal 400 kg schweren City- oder Golf-car - Foto: Bridgestone
Der Bridgestone Reifen, montiert auf einem maximal 400 kg schweren City- oder Golf-car – Foto: Bridgestone

Der japanische Reifenbauer Bridgestone verfolgt mit seinem „Air Free Concept Tire“ (Reifen ohne Luftbefüllung) ähnliche Ziele wie Hankook, die wellenförmige Speichenstruktur trägt hier ebenfalls das Gewicht des Autos und ist aus Thermoplast. Ein sehr festes, aber gleichzeitig extrem flexibles Kunstharz, durch das Spannungen und Deformationen im Inneren des Reifens reduziert werden. Zugleich wird während der Fahrt so der sonst durch die Luft bewirkte Stoßdämpfer-Effekt aufgebaut. Zusammen mit dem Gummi, der in diesem Fall noch für die Lauffläche verwendet wird, soll Bridgestones luftloser Reifen zu 100 Prozent wiederverwertbar sein.

Ganzjahres-Konzept Maxplo - Foto: Kumho
Ganzjahres-Konzept Maxplo – Foto: Kumho

Abseits der Pläne für luftlose Reifen reichen die Visionen in der Pneu-Branche aber noch weiter. Weil jeder konventionelle Reifen immer ein Kompromiss ist, machte sich der koreanische Hersteller Kumho auf die Suche nach smarten Gummiwalzen. Der Prototyp „Maxplo“ zum Beispiel passt sich dank dreidimen-sionaler Längsrillen flexibel den Fahrbahnverhältnissen an. Gleich drei Modi sollen bei Regen, auf Schnee und bei hohem Tempo für beste Haftung geradestehen. Beim ebenfalls von Kumho gezeigten Konzeptreifen Spinus und dem „eMembrane-Design“ von Hankook ändert sich aktiv die Profilauflage. Im Öko-Modus wird die Profilmitte angehoben, so dass nur eine geringe Aufstandsfläche mit entsprechend geringem Rollwiderstand Kontakt zum Asphalt behält. Bei Vollbremsungen oder in Kurven wird dagegen die Kontaktfläche und damit die Stabilität erhöht.

Spinus-Konzeptreifen von Kumho - Foto: Kumho
Spinus-Konzeptreifen von Kumho – Foto: Kumho

Mit seinem „Road-beat“-Konzeptreifen setzt Kumho dann noch einen drauf. Hier erzeugen kleinste Löcher in der Lauffläche Alpha-Wellen im Frequenzbereich von acht bis 13 Hertz – was entspannend auf den menschlichen Organismus wirken soll. Zugleich verbessern in der Lauffläche eingebaute LED-Leuchten die Sichtbarkeit des Autos. Die dazu nötige „Power“ liefert praktischerweise die kinetische Energie des Reifens gleich selbst mit. Man sieht: Für die Zukunft des Autoreifens sieht es alles andere als schwarz aus. Zumal – siehe Foto unten – luftlose Reifen im Zweiradbereich schon an der Tagesordnung sind.

Bei Mountain-Bikes schon üblich: luftlose Reifen - Foto:
Bei Mountain-Bikes schon üblich: luftlose Reifen – Foto: ERW

Text: Thomas Imhof, Autogefuehl
Fotos: Bridgestone, Hankook, Kumho