Porsche 911 Targa 4 S Fahrbericht 2020 992

Die neue Generation 911 ist nun auch als Porsche 911 Targa erhältlich. Wir sind die außergewöhnlichste Version der 911er-Reihe gefahren, als Porsche 911 Targa 4 S. Von Thomas Majchrzak

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Exterieur

Vorne zieren neue LED-Scheinwerfer das Gesicht der neuen 911er Generation, schon die Basis-LED-Scheinwerfer haben ein Vier-Augen-Gesicht, optional sind Matrix-LED-Scheinwerfer für eine erweiterte Fernlichtfunktion verfügbar. Vorne ist der neue 911 gut 4,5 cm breiter. Die Motorhaube hat zwei deutlichere Designkerben und ist kantiger ausgeschnitten, ferner sind die unteren Lufteinlässe auf Retro getrimmt. Der neue 911 Targa 4 kommt mit 19-Zoll-Felgen vorne und 20 Zoll hinten, 20 Zoll vorne und 21 Zoll hinten ist optional oder Serie für den Targa 4S. Die Türgriffe fahren ein Stück elektrisch aus, so dass man sie dann von unten greifen und hochziehen kann. Der Mechanismus dient der Aerodynamik, denn die Türgriffe sind versenkt, wenn sie nicht benutzt werden. Rein haptisch sorgen die Türgriffe beim Bedienen allerdings für ein etwas komisches Gefühl. Während bislang die Allrad-Modelle ein breiteres Heck hatten, kommen nun alle Modelle mit derselben breiten Heckführung. Am Heck geht nun schon wie bei den anderen Porsche-Modellen ein Leuchtband über die gesamte Breite. Der Heckspoiler fährt bei Bedarf aus, in die erste Stufe ab 90 km/h, in die zweite Stufe ab 150 km/h. Beim Turbo S fällt der Heckspoiler deutlich prominenter aus. Die Auspuffblenden dienen rein der Zierde, überraschenderweise befindet sich dahinter noch eine weitere Platte mit Aussparungen, erst dahinter befindet sich der eigentliche Auspuff. Der 911 Turbo S kommt mit rechteckigen Auspuffendrohren in Hochglanz-Schwarz. Zur Gewichtseinsparung wurde der Aluminiumanteil an der Karossiere weiter erhöht. Trotzdem ist die neue Generation gut 50 kg schwerer. Insgesamt, gerade bei der Wahl der richtigen Felgen, macht der neue Porsche 911 einen weiterhin evolutionär getrimmten Eindruck, wobei er geschickt Retro-Elemente aufweist, die ihn etwas kantiger ausschauen lassen.

Beim Cabrio wurde auf eine flache Dachlinie geachtet, wobei das bulligere Heck beim Cabrio sichtlich stärker hervorsteht. Die Cabrio-Variante kommt mit einem etwas schnelleren Verdeck (12 Sek. zum Öffnen/Schließen, bis 50 km/h) und einer sportlicheren Ausrichtung als beim Vorgänger. Ein elektrisches Windschott kann man praktisch ausfahren, so dass man flexibel die Rückbank nutzen kann.

Der neue Porsche 911 Targa kommt direkt als Targa 4 oder Targa 4S, heißt immer mit Allrad. Das Bügeldesign zitiert weiterhin das Ur-Targa-Modell von 1965, wobei die Glaskuppel sich heute automatisch anhebt, damit das kleine Softtop darin verstaut werden kann. Das Ganze dauert 19 Sekunden. Im Gegensatz zum Cabrio-Dach muss man für die Betätigung der Targa-Kuppel stehen bleiben. Eine aerodynamische Neuheit ist das kleine neue Windschott entlang der oberen Kante der Windschutzscheibe. Es ist bereits im Grundzustand aktiv, für höhere Geschwindigkeiten kann man manuell einmal oben drauftippen, und es fährt noch ein Stück nach oben. Dadurch werden tieffrequente Windgeräusche vermieden, also gefühlte Ploppgeräusche vermindert. Dafür gibt es dann einen hochfrequenten Windsound eben an der Spoilerkante oben. Trotzdem insgesamt angenehmer. Aber fürs Offenfahren ist klar: Das Cabrio ist dafür die richtige Wahl.

Interieur

Größte Neuerung im Interieur bei der neuen 911er Generation ist der größere Infotainment-Bildschirm in 10,9 Zoll. Dieser kommt mit einer schnellen Prozessoreinheit und Software, die man schon aus Cayenne und Panamera kennt. Neben der Touchscreen-Funktion stehen fünf Hotkeys zur Verfügung. Das Infotainment-System zieht relativ schnell und viel Strom, womit die moderne Lithium-Ion-12-V-Batterie nicht so gut klarkommt. Hier ist Vorsicht angesagt, im Zweifelsfall nach der ersten Warnmeldung, dass sich das System zum Stromsparen abschaltet, lieber den Motor anmachen.

Die Instrumente sind etwas zurückversetzt, was eine Hommage an die 911er der 1970er Jahre sein soll. Der mittige Drehzahlmesser ist weiterhin analog, rechts und links daneben sind zwei 7″-Screens platziert. Diese werden jedoch durch das Lenkrad verdeckt, bei großen Fahrern tatsächlich in jeder Lenkradstellung.

Die verbleibenden Schalter sind hochwertig mit metallgedrehten Abdeckungen verziert, ebenso der neue Schalthebel, der an den Kopf eines kleinen Elektro-Rasierers erinnert. Der Automatik-Schalthebel hat keinen Seilzug mehr, die Gangbefehle werden rein elektrisch übertragen, daher benötigt man auch keinen großen Hebel. Alternativ gibt es für die S-Modelle auch eine Handschaltung.

Im Design herrscht auch im Interieur eine bewusste Spannung, und zwar im wortwörtlichen Sinne, denn die Oberflächen scheinen straff über den Untergrund gespannt zu sein. Als eine Sitzoption steht auch für den 911 Turbo ein Stoff-Tierhaut-Kunstleder-Mix zur Verfügung, mit dem Stoff „Sport-Tex“ auf den Innenseiten fährt man im Sommer am kühlsten und im Winter am wärmsten. Eine komplett nachhaltige Alternative findet man allerdings nur im Elektrowagen Taycan. Der Porsche 911 Turbo S kommt standardmäßig mit Tierhaut-Bezügen. Der grundsätzliche Sitzkomfort wurde zwar etwas gesteigert, für Langstrecken können wir den 911 dennoch nicht empfehlen. Interessant ist auch, dass im Zuge der Generationen die Sitzposition immer weiter nach unten gewandert ist. Das fühlt sich sportlicher an, bringt massig Kopffreiheit für so ein flaches Auto, allerdings wird der Ein- und Ausstieg dadurch auch nicht leichter.

Kopffreiheit vorne gibt es also en masse, und man kann auch als großer Erwachsener durchaus eine geeignete Sitzposition finden. Die hinteren Sitze sind reine Notsitze, selbst auf dem Beifahrersitz kann man hinten kaum einen Erwachsenen unterbringen. Dafür aber Kindersitze. Der vordere Kofferraum ist weiterhin geräumig und gut nutzbar (z.B. Flug-Trolley plus Rucksack plus Jacke), das Volumen beträgt 135 l. Insgesamt bleibt der Porsche 911 aber durchweg ein unpraktisches Auto mit einem gegenüber den Außenmaßen winzigen Innenraum.

Motoren

911 Carrera und 911 Carrera 4 (Allrad) – 3,0 l 6-Zylinder Turbo-Boxermotor mit 385 PS
4,2 bzw 4,0 Sek. 0-100 km/h mit Sport-Chrono-Package (Launch Control)
Basispreis Einstiegsversion: 106.000 Euro fürs Coupé, 120.000 Euro fürs Cabriolet, 8.000 Euro mehr für Allrad, 128.000 Euro dann auch für den Targa 4)

911 S und 911 4S (Allrad) – 3,0 l 6-Zylinder Turbo-Boxermotor mit 450 PS
3,5 bzw 3,4 Sek. 0-100 km/h mit Sport-Chrono-Package (Launch Control)
8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe (PDK)
Ab 120.000 bzw. 128.000 Euro (Targa 4S 145.000 Euro)

Für das S-Modell kann man ohne Aufpreis (aber auch ohne Ersparnis) ein Schaltgetriebe wählen.
Der Preis für Cabriolet und Targa ist also weitgehend gleich, 14.000 Euro mehr jeweils als das Coupé (heftiger Aufpreis!).

Bei den Tankgrößen kann man zwischen 67 l und optional 90 l wählen.

Das sind die Werte für das Coupé, der Targa ist jeweils 0,1 Sek. langsamer. Den Targa bekommt man als S und 4S.
Das Cabriolet ist jeweils 0,2 Sekunden langsamer als das Coupé (Mehrgewicht von 70 kg) und kostet 14.000 Euro mehr.

911 Turbo S (Allrad) – 3,8 l 6-Zylinder mit Dual-Turbo-Boxermotor mit 650 PS
2,7 Sek. 0-100 km/h
8,9 Sek. 0-200 km/h

Fahrverhalten

Der 911 S hat schon gut 40 PS mehr als die Vorgänger-Variante und ist 0,4 Sek. schneller in der 0-100 Beschleunigung. Gleichzeitig wurde, trotz des 50 kg Mehrgewichts, die Bremsperformance um gut 1 % verbessert. Ok, das ist ein eher theoretischer Wert, weil die 1 % kann keiner spüren. Dafür ist die Lenkung um 10 % direkter, und das kann man in der Tat spüren. Lenkbefehle kann man sehr fein dosieren, die Rückmeldung ist top und man muss nie zu stark einlenken, das Lenkverhalten ist durchweg progressiv.

Bei den Fahrwerken startet man mit dem adaptiven Fahrwerk PASM, wahlweise ist ein -10 mm PASM verfügbar. Ferner steht als Option die PDCC an, die Porsche Dynamic Chassis Control. Im Gegensatz zu VW, wo DCC für das adaptive Fahrwerk steht (verwirrend, weil das ist bei Porsche PASM), steht PDCC bei Porsche für die aktive Wankstabilisierung. Diese ist immer aktiv, aber noch in einer zweiten Stufe zu regeln, so dass sie noch straffer agiert und das Auto gerade hält. Der Unterschied ist deutlich zu spüren, gerade auf der Rennstrecke. Auf der Straße ist das dagegen eher zu vernachlässigen. Voraussetzung für die PDCC ist die Hinterachslenkung, die die Hinterräder bis zu 2 Grad gegensinnig oder gleichsinnig einschlägt, um entweder den Wendekreis geringer zu machen oder bei höheren Geschwindigkeiten für mehr Stabilität zu sorgen. So präsentiert sich der 911er auf technischer Seite komfortabler und zugleich sportlicher als zuvor, man hat eben noch ein Stückchen draufgelegt. Der Porsche 911 Turbo S hat die Hinterachslenkung und die Wankstabilisierung serienmäßig.

Die Beschleunigungsperformance steht außer Frage, der Carrera oder Targa S hat derweil schon die Fahrperformance eines einstigen GTS, und es ist in der Tat ein Auto, das man so als Serienfassung ohne Probleme auf alle Rennstrecken der Welt nehmen kann. Ob das wirklich jemand macht, steht auf einem anderen Blatt. Viel Spaß macht es mit dem 911, nicht nur im Grenzbereich zu fahren, sondern einfach zügig zu cruisen. Dafür ist er auch eigentlich gedacht.

Der neuen Porsche 911 Targa, den wir als Targa 4 S testen, hängt genauso hart am Gas und ist über jeden Leistungszweifel erhaben. Mit den großen Felgen hat man spürbaren Fahrbahnkontakt, das macht sportlich Spaß bei guten Straßen, bei Schlaglöchern wird es dagegen spürbar unangenehm.

Bislang war das Cabriolet in Sachen Windgeräusch klar im Vorteil gegenüber dem Targa. Das neue obere Windschott verbessert die harten Windgeräusche zwar etwas, aber trotzdem ist der Targa fürs schnelle Offenfahren weiterhin nicht zu empfehlen. Schon ab 80 km/h gibt es sehr unangenehme Verwirbelungen und Geräusche. Der Targa eignet sich eher als schicke Coupé-Alternative, die man ab und zu innerstädtisch oder auf der Landstraße mit 70 km/h offen fährt.

Neu hinzugekommen ist ein Fahrmodus für nasse Fahrbahn, um die Gasannahme zu reduzieren und die Traktion zu verbessern. Der 911 erkennt nasse Fahrbahnen und schlägt den Fahrmodus dann automatisch vor. Auch ein Nachtfahrassistent mit Wärmebildkamera ist nun verfügbar. Am wichtigsten ist die Einführung eines serienmäßigen Notbremsassistenten, der sogar serienmäßig kommt. Optional bekommt man einen adaptiven Tempomaten.

Auf der Rennstrecke würde man den Unterschied vielleicht merken, aber beim normalen Straßenfahren machen 911 Cabriolet und 911 Targa eine genauso sportliche Figur wie das Coupé, ohne Einschränkungen.

Abmessungen

Länge: 4,52 m
Breite: 1,85 m
Höhe: 1,30 m
Radstand: 2,45 m
Leergewicht: 1.590 – 1.640 kg

Fazit: Der neue Porsche 911 wurde wie üblich evolutionär am Äußeren verändert, wobei ihm die neuen alten Retro-Elemente richtig gut stehen. Das Design wirkt wie aus einem Guss und es gibt so wenige Lücken in der Karosserie wie nie zuvor. Der Targa ist im Design noch exklusiver mit dem Kontrast-Bügel. Im Innenraum gibt es mehr Digitalisierung und Perfektion in der sichtbaren Verarbeitung, aber durchaus Stellen, die während der Fahrt ungewöhnlich laut sind. Es gibt kaum Alternativen zu Tierhaut-Bezügen. Auch der Sitzkomfort ist nicht wie bei einem GT, sondern eher wie bei einem reinrassigen Sportwagen. Beim Targa kommt die Windempfindlichkeit beim Offenfahren dazu, die durchs neue Windschott aber immerhin etwas verbessert wurden. Die Motoren sind nun konsequent turboaufgeladen und kommen schon in „niedrigen“ Versionen mit rasanten Beschleunigungswerten von Supersportwagen. Das Handling und die Straßenlage sind bereits in Basis-911-Versionen rennstreckenreif. Wichtig ist ferner die Weiterentwicklung von Sicherheits- und Assistenzsystemen. Der neue Porsche 911 Targa ist im Styling die außergewöhnlichste Version, er wandelt weiter zwischen den Welten. Wer gerne offen fährt und zwischen Cabrio und Targa entscheidet, sollte auf jeden Fall das Cabrio wählen. Wer zwischen Coupé und Targa wählt und den Extra-Preis übrig hat und ein exklusiveres Design und hier und da mal offen fahren möchte, kann zum Targa greifen.

Autogefühl: ***

Text: Autogefühl, Thomas Majchrzak