Reifenhersteller Continental und das Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie (IME) in Münster wollen künftig das schwarze Gold für Autoreifen statt aus dem Kautschuckbaum aus Löwenzahn gewinnen. Die Wurzel der Pusteblume sei deutlich weniger wetterempfindlich, zudem lockten kürzere Entfernungen zu den Reifenwerken. Wird also neben Mais und Raps demnächst Löwenzahn zur Nutzpflanze Nummer Eins auf brachliegenden deutschen Äckern? Von Thomas Imhof
Das Co-Projekt „Kautschuk aus Pusteblumen“ startete offiziell Anfang Oktober 2013. Das Ziel wurde klar formuliert: In den nächsten fünf Jahren den Produktionsprozess so weiter zu entwickeln, dass Continental aus Löwenzahn-Kautschuk neue Reifen herstellen kann. Dafür errichten die Molekularbiologen des IME und die Forschungsabteilung des Hannoveraner Reifenbauers eine Pilotanlage in Münster, die in der Lage sein soll, Naturkautschuk im Tonnenmaßstab zu produzieren. Gleichzeitig wurden mehrere Hektar einer besonders kautschukhaltigen Löwenzahnsorte angebaut. Um den Rohstoffgehalt und die Blüteeigenschaften zu optimieren, züchten die Forscher parallel dazu sogar neue Sorten, die einen höheren Kautschukanteil und Biomasseertrag versprechen.
Continental sieht großes Potenzial für Löwenzahn als Nutzpflanze in Europa. Die Pusteblumenwurzel sei weniger empfindlich gegen Witterungseinflüsse sowie Pilzbefall und eröffne dank ihrer „agrarischen Anspruchslosigkeit“ ganz neue Potentiale – speziell für heute brachliegende und noch nicht mit den zur Biokraftstoff-Gewinnung gezüchteten Monokulturpflanzen Mais oder Raps belegte Anbauflächen. Blüht da demnächst der Löwenzahn, locken kürzere Transportwege und als Folge ein geringerer CO2-Fußabdruck und Logistik-Aufwand. Der Anbau ist laut Conti-Sprecher Kai Rühling in zahlreichen Ländern Europas, darunter auch in Deutschland möglich. Man schaue aber besonders intensiv nach Anbauflächen in Osteuropa.
Ohnehin lässt sich für die Produktion ausschließlich die russische Variante des Löwenzahns verwenden. Nur diese Art weise in ihrem Latexsaft genügend große Mengen der für die Kautschuk-Gewinnung nötigen „Milch“ auf, wissen die Experten vom IME. Gegenüber dem „Gummibaum“ habe die „Pusteblume“ drei entscheidende Vorteile: Ihre Vegetationsperiode dauert nicht mehrere Jahre, sondern nur ein Jahr. Danach können die Pflanzen sofort und bis zu zweimal jährlich geerntet werden. Gleichzeitig seien sie weniger anfällig für Schädlinge, benötigten kein subtropisches Klima und können auch auf heimischen Äckern wachsen.
Der Russische Löwenzahn (wissenschaftlicher Name Taraxacum kok-saghyz) gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae) und kommt ursprünglich aus Kasachstan und dem westlichen Xinjiang. Er gilt als extrem robust und wächst bis zu 15 Zentimeter in die Höhe. Sein Schatz befindet sich in der Pfahlwurzel – der milchige Saft, der sich zur Gewinnung von Naturkautschuk eignet.
Der Russische Löwenzahn bevorzugt laut Eintrag auf Wikipedia „sandige bis lehmige und tonige Böden, die gut drainiert, aber feucht sind. Er kann auf sauren, neutralen und sogar stark alkalischen Böden wachsen. Er wächst sowohl im Halbschatten, als auch im vollen Tageslicht.“ In einem Satz: Ein anspruchsloser Geselle!
Laut Wikipedia wurde der Russische Löwenzahn schon in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts in Kasachstan entdeckt, als man in der damaligen Sowjetunion nach einer einheimischen Quelle für Kautschuk suchte. Bereits 1941 – man höre und staune – wurden auf einer Fläche von 67.000 Hektar 30 Prozent des sowjetischen Gummiverbrauchs erzeugt. Unter dem Projektnamen „Kok-Saghys“ soll es 1942 sogar im KZ Auschwitz eine Forschungsstation für Pflanzenkautschuk gegeben haben, in der 150 bis 250 Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. (Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 18 vom 4. Mai 2008, Seite 67.)
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Russische Löwenzahn dann aber auch in der Sowjetunion in Vergessenheit – verdrängt durch Hevea brasiliensis, den Kautschukbaum. Der stammt aus Südamerika und gehört zur Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae). Sein als Naturkautschuk (Kautschuk) oder Naturlatex (Latex) bezeichneter Milchsaft ist bislang der wichtigste natürliche nachwachsende Rohstoff für die Gummiherstellung. Intensiv angebaut wird er vor allem in Plantagen in Asien und anderen Regionen des sogenannten „Kautschukgürtels“.
Doch nun feiert das Pusteblumen-Kraut dank Continental und der findigen Tüftler am Fraunhofer Institut als nachwachsener Kautschukersatz ein überraschendes Comeback. In den vergangenen Jahren haben sie im Labor mithilfe modernster Züchtungsmethoden und optimierten Anlagen bereits hochwertigen Naturkautschuk aus Löwenzahnwurzeln herstellen können.
„Wir haben uns in den letzten Jahren ein großes Know-how in Sachen Löwenzahnzüchtung aufgebaut. Mit Hilfe von DNA-Markern wissen wir nun, welches Gen für welches molekulare Merkmal verantwortlich ist. Die Züchtung von besonders ertragreichen Pflanzen ist so wesentlich effizienter möglich“, beschreibt Projektleiter Prof. Dr. Dirk Prüfer die Forschungsarbeiten am Münsteraner Standort des IME. „Die größte Herausforderung war, das Wildkraut in eine Nutzpflanze zu verwandeln. Mittlerweile weisen einige unserer Sorten einen deutlich gesteigerten Kautschukgehalt auf. Diese werden wir jetzt noch weiter stabilisieren“,kündigt er an. Würden die Pflanzen großtechnisch angebaut, ließen sich auf einem Hektar 500 bis 1.000 Kilogramm pro Vegetationsperiode produzieren.
Reifenbauer Continental geht – analog zum erwarteten Wachstum des weltweiten Reifenmarktes – von einer langfristig steigenden Nachfrage nach Naturkautschuk aus. „Mit dem Löwenzahn-Projekt haben wir einen großen Schritt auf dem Weg zu unserem langfristigen Ziel gemacht, die Produktion von Pkw-, Lkw-, Spezial- und Zweirad-Reifen noch nachhaltiger zu gestalten“, freut sich Dr. Andreas Topp, der das Kooperationsprojekt als Leiter der Material- und Prozessentwicklung sowie Industrialisierung für Reifen bei Continental betreut. „Wir gehen davon aus, dass wir den Löwenzahn-Kautschuk in großen Mengen und mit mindestens denselben Leistungseigenschaften wie das vom Kautschukbaum geerntete Material herstellen können. Dadurch werden wir uns deutlich unabhängiger von der jährlichen Erntesituation in den subtropischen Anbaugebieten machen.“ In der Tat muss man wissen: Ein Naturkautschuk-Baum muss erst einmal bis zu sieben Jahre wachsen, ehe sich eine erste Ernte lohnt. Kautschuk aus Pusteblumen dagegen kann man ohne Vorlauf „melken.“
So pustet Continental also auf die weltweite Kautschuk-Lobby – und kündigt erste Testreifen mit Gummimischungen aus Löwenzahn-Kautschuk schon für 2015 an. Auf öffentlichen Straßen und hoffentlich mit den identischen Grip- und Nasslaufeigenschaften aktueller Reifen. Und ihre Profilauflage sollte auch so lange halten wie bei heutigen Pneus.
„Wir freuen uns über den großen Zuspruch für unser Löwenzahn-Kautschuk-Projekt und die Nominierung als Top 3-Projekt. Continental investiert in dieses vielversprechende Materialentwicklungs- und Erzeugungs-Projekt, weil wir überzeugt davon sind, dass wir dadurch unsere Reifenproduktion langfristig weiter verbessern werden“, sagte Nikolai Setzer, im Continental-Vorstand für den Geschäftsbereich Reifen verantwortlich.
Bei den GreenTec Awards 2014 wurde das Entwicklungsprojekt „Rubin – Aufbruch zur Industrialisierung von Naturkautschuk aus Löwenzahn“ als eines von drei Finalisten in der Kategorie „Automobilität“ nominiert. Die GreenTec Awards sind Europas größter Umwelt- und Wirtschaftspreis und werden seit 2008 vergeben. Die aus 50 Experten bestehende Jury wird am kommenden Dienstag über die Podiums-Platzierungen der jeweiligen Top 3 in den 14 verschiedenen Kategorien entscheiden. Die Preisverleihung findet am 4. Mai zum Auftakt der Weltleitmesse für Wasser-, Abwasser-, Abfall- und Rohstoffwirtschaft IFAT in München statt.
Text: Thomas Imhof, Autogefuehl
Fotos: Continental, Axel Boldt