Die prestigeträchtige Wahl zum „Auto des Jahres“ endete mit einer faustdicken Überraschung: Nicht der hoch vorgewettete BMW i3, sondern der französische Golf-Konkurrent Peugeot 308 machte das Rennen. Dass ein Vertreter des konventionellen Lagers die Oberhand gegenüber zwei faszinierend neuen Elektroautos behielt, verdankte der Franzose vor allem dem Stimmblock der südeuropäischen Länder. Merke: Europa tickt nicht nur in Brüssel, sondern auch bei einer Autowahl noch sehr unterschiedlich. Von Jurymitglied Thomas Imhof
Der französische PSA-Konzern geht bekanntlich gerade durch stürmische Zeiten – nur die kaum erst getrocknete Tinte unter einem Kooperationsabkommen mit dem chinesischen Autobauer Dongfeng lässt die beiden Marken Peugeot und Citroen auf eine bessere Zukunft hoffen. Da ist der am Vortag des Genfer Salons verkündete Sieg bei der Wahl Auto des Jahres 2014 wie Balsam auf den Wunden. Es war für Peugeot der vierte Sieg bei „Car of the Year“ (COTY) und der erste seit 2002, als der hochbauende Vorgänger 307 die Mehrheit der Journalisten-Stimmen erhielt.
Am Ende waren es vor allem die guten Allround-Eigenschaften, die dem sehr deutsch gestylten Peugeot 308 einen am Ende erstaunlich klaren Sieg bescherten. Seine sparsamen Dreizylinder-Motoren, das neue Cockpitkonzept, das kleine Lenkrad und die hoch liegenden Instrumente sowie das gute Platzangebot fanden allgemein Lob. Dass er die meisten Vergleichstests gegen den Vorjahressieger Golf verlor und auch nicht jene extreme Variantenvielfalt wie der Wolfsburger Konkurrent ins Feld führen kann, wurde ausgeblendet. „Der 308 hat gegenüber der Konkurrenz fraglos stark aufgeholt, ist aber deshalb für mich noch längst kein Sieger“, stellte der britische COTY-Juror Steve Cropley trocken fest.
Insgesamt 25 Punkte kann jeder der 58 Journalisten aus 22 Ländern vergeben. An mindestens fünf der sieben Finalisten und mit der Maximalpunktzahl zehn für Platz Eins. „Die Tabelle lügt nicht“, heißt ein geflügelter Spruch im Fußball. Auf die Wahl zum „Auto des Jahres“ übertragen, heißt das: Die große Mehrheit der Erststimmen kann nicht irren. Und in der Tat entschieden sich 23 Journalisten bei der Wahl Auto des Jahres 2014 für den französischen Mittelklasse-Wagen. 16 kürten das Tesla Modell S, aber nur elf – darunter auch der Autor dieser Zeilen – den BMW i3 zu ihrer persönlichen Nummer Eins. Für die S-Klasse von Mercedes (3), den Skoda Octavia und Citroen C4 Picasso (je 2) sowie den Mazda3 (1) erwärmte sich dagegen nur noch eine Minderheit – das Quartett landete daher auch weit abgeschlagen am Ende des Feldes.
Bei einer genaueren Analyse der Ergebnisse wird deutlich, dass der Peugeot allein 140 seiner 307 Punkte aus seinem Heimatland sowie aus Italien und Spanien einheimsen konnte. Frankreich (47) und Spanien (52) stimmten mit je sechs Juroren quasi als geschlossener Block für ihn, aus Italien – wo die Hälfte der Juroren den 308 vorne sah – gab es immerhin 41 Punkte aufs prall gefüllte Konto.
Zu den fünf Ländern, die aufgrund ihrer Marktgröße ebenfalls mit sechs Stimmen vertreten sind, gehören Deutschland und Großbritannien. Und hier zeigte sich ein gänzlich anderes Bild: Die Deutschen wählten extrem unterschiedlich und erklärten das vom kalifornischen Start-up-Unternehmen Tesla hergestellte Model S mit 32 Punkten vor der Mercedes S-Klasse (30) und dem BMW i3 (28) zum Sieger. Für den Peugeot gab es immerhin noch 23 Zähler. Der Autor dieser Zeilen honorierte den großen Entwicklungssprung bei den Stromern mit zehn Punkten für den i3 und sieben Zählern für den Tesla – für den Peugeot blieb am Ende nur ein Punkt übrig.
Ähnlich ernüchternd fiel das Ergebnis für das neue Auto des Jahres 2014 in England aus. Die Briten ließen keinen Zweifel, wem ihre Gunst galt: Dem aus Kohlefaser und Aluminium gefertigten BMW i3. Er belegte mit 43 Punkten souverän Platz Eins vor der S-Klasse (29), dem Tesla (27), dem Mazda3 (20) und – dann erst – dem Peugeot mit 15 Punkten. Auch die beiden Vorzeigeländer der Elektromobilität – Norwegen und Holland – waren für den BMW i3 eine sichere Bank: Das Jurymitglied aus Oslo zeigte sich mit acht Punkten ebenso generös wie das Trio der Niederländer, das dem BMW zusammen 24, dem Tesla zwölf und dem Peugeot gerade einmal sechs Punkte gewährte. Beide Länder zählen zu jenen wenigen Staaten, in denen Elektromobilität schon heute funktioniert. Weil die dazu nötige Infrastruktur konsequent aufgebaut und die Anschaffung eines schadstoffarmen Autos mit allerlei Vorteilen für den Käufer belohnt wird.
Doch wie beim europäischen Schlagerwettbewerb ändern solche Einzelerfolge nichts am Gesamttrend. Schon bei früheren Wahlen zum „Auto des Jahres“ zeigten sich Italien und Spanien hinsichtlich alternativer Antriebskonzepte extrem konservativ und skeptisch. Und dieser Haltung blieben sie erneut treu. Beispiel Italien: Hier rang sich die Jury gerade einmal zu neun Punkten für den BMW, jedoch immerhin 28 für den Tesla durch. Die spanischen Kollegen gaben dem BMW 19 und dem Kalifornier lediglich zwei Zähler. Fünf Iberer vergaben sogar einen „Nuller“ an den Sportwagen aus dem Silicon Valley.
Die Argumente für die brüske Ablehnung ähneln sich bei diesem Nord-Süd-Konflikt auffällig: zu geringe Reichweite, zu hoher Preis für einen Zweit- oder sogar nur Drittwagen und mangelnde Infrastruktur. Allesandro Ferrari, der italienische Kollege mit dem klangvollen Familiennamen, sagte unverblümt: „Für Italien sind Elektroautos aus den oben genannten Gründen nicht interessant. Daher habe ich beiden null Punkte gegeben!“ Der Spanier Pere Prat räumt immerhin an: „Spanien ist noch nicht auf die Elektromobilität vorbereitet, vielleicht wird sich das ändern, wenn die Rezession hier vorbei ist!“ Interessant: Die Türkei und Griechenland, Mittelmeer-Anrainer und mit jeweils einem Jury-Mitglied vertreten, hoben beide ohne Scheuklappendenken den BMW i3 auf den Schild. „Obwohl wir in Griechenland noch immer keine öffentlichen Ladestationen haben“, beklagt Efstratios Chatzipanagiotou aus Athen.
Weniger nachgiebig zeigten sich die drei schwedischen Jury-Mitglieder mit COTY-Präsident Hakan Matson an der Spitze: Weil der BMW i3 beim für jeden Neuwagen obligatorischen Crash-Test des Euro NCAP-Konsortiums nur vier statt der mittlerweile obligatorischen fünf Sterne erhielt, straften ihn die sonst allen „grünen“ Lösungen freundlich gesinnten Skandinavier mit jeweils nur einem Punkt ab.
Abseits solcher Nebenkriegsschauplätze gaben bei der Frage um den Gesamtsieg bei der Wahl Auto des Jahres 2014 am Ende die Traditionalisten und Elektro-Skeptiker unter den Jury-Mitgliedern den Ausschlag – der Peugeot 308 als kleinster gemeinsamer Nenner. Das Gros spielte vielleicht auch deshalb die sichere Karte, weil der Nissan Leaf und der Opel Ampera – Sieger der Jahre 2011 und 2012 – speziell in Europa nicht gerade Verkaufshits sind. Das mag manchen COTY diesmal von einem erneuten Wechsel auf die Zukunft abgehalten haben. Bezeichnend dazu auch der Kommentar des deutschen Jury-Mitglieds Frank Janssen vom STERN: „Batterieelektrisch betriebene Fahrzeugen überzeugen mich noch immer nicht“. Was schade ist, sind doch der BMW i3 und – wenngleich auf völlig andere Weise – der Tesla Model S die ersten Elektroautos, die wirklich Fahrspaß bieten. Andrew Frankel aus England brachte es auf den Punkt: „Der i3 ist der erste Elektrowagen, den man nicht nur wegen seines Elektroantriebs kauft.“
Gerade unter diesem Aspekt überraschte der große Abstand des siegreichen Peugeot von 85 Punkten auf den BMW dann doch. Während sie in München enttäuscht sein werden, darf man sich bei Tesla über die Bronzemedaille freuen: Gleich beim ersten Anlauf unter die sieben Finalisten zu kommen und eine Mercedes S-Klasse auf den letzten Platz zu verweisen, ist für die Kalifornier aller Ehren wert.
Endergebnis Car of the Year 2014 1. Peugeot 308 307 Punkte, 2. BMW i3 223, 3. Tesla Model S 216, 4. Citroen C4 Picasso 182, 5. Mazda 3 180, 6. Skoda Octavia 172, 7. Mercedes S-Klasse 170.
Voting Thomas Imhof: BMW 10, Tesla 7, Skoda & Mercedes je 3, Mazda & Peugeot je 1, Citroen 0
Text: Autogefuehl, Thomas Imhof
Fotos: Autogefühl / Tesla