Autonomes Fahren: Das Auto neu definiert

Autonomes Fahren, Foto: Continental

„Heilig’s Blechle, der Glanz ist weg – die inneren Werte sind relevant.“ Wie autonomes Fahren das Verhältnis des Menschen zum Auto neu definiert. Ein Gastbeitrag von Peter Fuß

Autonomes Fahrzeug Konzept von Mercedes (Pkw) F015:

Schon bald könnten selbstfahrende Autos auf den Straßen zum Alltag gehören. Die Industrie arbeitet unter Hochdruck an Fahrzeugen, die ohne menschliches Eingreifen im Straßenverkehr unterwegs sind, und investiert Milliarden in diese Zukunftstechnologie. Es geht auch gar nicht mehr um die Frage, ob das Roboterauto dem Menschen den Spaß am Fahren verdirbt; je nachdem, ob der Mensch lustvoll oder unlustvoll unterwegs ist, kann und soll er immer noch entscheiden, ob er das Lenkrad – beispielsweise im Stadtverkehr – aus der Hand gibt oder noch selbst steuert, weil die aktuelle Fahrsituation auf einer leeren Autobahn oder über einen Alpenpass den Genuss der automobilen Freiheit ermöglicht.

Einer der treibenden Faktoren für das autonome Fahren ist das Thema Sicherheit: die Vermeidung von Verkehrsunfällen und letztlich von Verkehrstoten, und zwar durch die Ausschaltung des menschlichen (Fehler-)Faktors. Wenn wir also das Steuer aus der Hand geben und dem Autopiloten die Verantwortung übertragen, geben wir die Kontrolle über das weitere Geschehen an eine Maschine ab. Damit stellt sich aber gleich die Frage, wie viel Fehlertoleranz wir dem Roboterauto erlauben. Hier hilft es, eine Trennlinie zwischen überlebens- und nicht überlebensrelevanten Fehlern zu ziehen. Ein fehlerhafter Bankautomat oder falsch produzierende Maschine mögen zwar ärgerlich sein, ihr Funktionieren ist aber nicht überlebensrelevant. Nun übergeben wir unser höchstes irdisches Gut, die Gesundheit und das Leben des Menschen, an Bits und Bytes – wohl wissend, dass wir zwangsläufig enttäuscht werden, denn eine vollkommene Sicherheit gibt es im Leben nie.

Wenn also etwas beim Roboterauto schiefgeht – wem gegenüber kann der Mensch seine Enttäuschung und sein Wutgefühl ausdrücken? Ist es die Wut gegenüber dem Entwickler des Autopiloten? Dem Autohersteller? Dem Softwareprogrammierer? Beim Versagen von Menschen ist eben auch der Mensch die Zielscheibe dieser Wut. Der Autopilot, oder letztlich die Maschine, ist (bisher) gefühlslos, zeigt keine Reaktion oder Aggression. Somit ist auch – anders als beim Menschen – eine direkte Bestrafung der Maschine beim Versagen nicht sinnvoll. Welche Relevanz haben diese Überlegungen für das Verhältnis zwischen Mensch und Auto beim autonomen Fahren?

Autonomes Fahrzeug Konzept von Mercedes (Lkw):

Über Jahrzehnte war das Auto vom Design und vom Antriebsstrang emotional geprägt – umgangssprachlich, aber auch empfindend mutierte das Automobil zum „Heilig’s Blechle“ für Generationen von Menschen. Der Mensch und das Auto gingen eine nahe Beziehung ein, weil das Auto für den Menschen einen Wert darstellte, den es zu beschützen galt. Kein Kratzer durfte den Glanz des Autos beeinträchtigen. Aber was ist das „Heilig Blechle“ in der Zukunft? Tendenzen hin zu integrierten Mobilitätskonzepten wie Car-Sharing führen zu einer „Entfremdung“ zwischen Mensch und der Maschine Auto oder auch zu einer Abstrahierung des innigen Verhältnisses. Letztlich findet damit eine Devaluierung des Automobils statt. Demgegenüber muss sich die Beziehung zwischen Mensch und Automobil hin zu einer vertrauensvollen Beziehung wenden – gerade wenn die Kontrolle an den Autopiloten abgegeben wird. Somit entsteht durch das autonome Fahren ein völlig neuartiges Verhältnis zwischen Mensch und Automobil.

Wurde bislang das „Heilig Blechle“ vom Menschen beschützt, so muss das Auto heute den Menschen beschützen, nämlich fehlerfrei funktionieren. Das Auto wird damit zum „Best Budii“ des Menschen, zuverlässig, vertrauensvoll und damit (subjektiv) sicher. Diese Umkehrung des Beziehungsverhältnisses zwischen dem Menschen und der Maschine Auto bedeutet auch eine Änderung der Sichtweise auf das Auto: Es geht nicht mehr um den äußeren Glanz wie Design oder Antriebsstrang, sondern vielmehr um die inneren Werte eines Automobils wie Sicherheit, Zuverlässigkeit, aber auch Konnektivität. Diesen Wandel von der reinen „äußeren“ Produktorientierung hin zu einer „inneren“ Nutzenorientierung wie Funktionalität haben bereits andere Branchen – wie die Musikbranche oder auch die Fotoindustrie – durchgemacht. Der Automobilindustrie steht dieser meist auch schmerzhafte Transformationsprozess noch bevor.

Rinspeed Budii Konzept eines autonomen Fahrzeugs
Rinspeed_Budii

Das autonome Fahren beschreibt letztlich ein völlig neues Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Auto: Die Relationen zwischen Freiheit, Vernunft und Leben verschieben sich. Die Vernunft sagt uns als Autofahrer, dass wir maximal 30 Stundenkilometer fahren sollten, um Unfälle oder sogar Verkehrstote zu vermeiden – also Leib und Leben zu schützen. Der automobile Freiheitsdrang suggeriert aber Fahrgeschwindigkeiten von teilweise über 200 Stundenkilometer, wodurch Menschenleben hochgradig gefährdet werden. Gehen wir als Autofahrer nicht stets Kompromisse ein, bei denen das Ziel der Weg ist, beispielsweise schnell das Zuhause zu erreichen? Autonomes Fahren in seiner Vollendung bedeutet letztlich: Der Weg ist das Ziel, da der Weg irrelevant wird, weil der so fortbewegte Mensch den Nutzen des Weges hat, indem er den Weg und damit die Fortbewegung für andere Aktivitäten wie Lesen, Arbeiten oder Schlafen verwenden kann.

Welche Auswirkungen hat dies aber für eine seit 129 Jahren etablierte Automobilindustrie, insbesondere für die Automobilhersteller? Der Wandel hin zum autonomen Fahren führt dazu, dass die Autobauer – symbolisch gesprochen – das Steuer aus der Hand geben, aber weiterhin noch „In-Charge“ für das Automobil bleiben (müssen). Die Automobilindustrie muss also das „Steuern ohne Steuer oder auch Lenkrad“ zu ihrem Geschäftsmodell machen, um den inneren Wert des Automobils gegenüber dem bisherigen glanzvollen Design und Antriebsstrang für den Mobilitätskunden der Zukunft erlebbarer zu machen. Damit sind neue Kompetenzen, aber auch neue Kooperationen zwischen Autobauern und Unternehmen außerhalb der Automobilindustrie gefragt. Ein „Weiter so“ kann und wird es nicht geben.

Peter Fuß ist Senior Advisory Partner Automotive bei der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.

Text: Peter Fuß
Fotos: Continental

Peter Fuß
PeterFuss

Autonomes Fahrzeug Konzept von Mercedes in der S-Klasse S500: