Test Toyota Mirai 2016 Fuel Cell

Der Wasserstoff/Brennstoffzellenantrieb wird von vielen als Königsweg zur Lösung der durch den Individualverkehr verursachten Emissionen geradezu herbeigewünscht. Doch wie praxistauglich ist dieses bislang für Europa nur von Toyota und Hyundai in Serie umgesetzte Antriebskonzept? Wie sieht die Gesamt-Ökobilanz aus? Erfahrungsbericht mit dem Toyota Mirai. Von Thomas Imhof

Mirai steht im japanischen für „Zukunft“. Und nicht viel weniger will das erste in größeren Stückzahlen produzierte Brennstoffzellenauto von Toyota auch sein. Noch konzentriert sich die Belieferung vor allem auf den Heimatmarkt und Kalifornien; das Kontingent für ganz Europa liegt in diesem Jahr bei maximal 200 Autos, davon fallen gerade einmal 50 für Deutschland ab. Es gibt den Mirai nur in einer Ausstattung und zum Preis von 78.600 Euro, wobei man ihn in Deutschland zum Monatstarif von 1.219 Euro nur leasen kann. Selbst für „Early adopters“ ist es also zurzeit noch fast unmöglich, sich das antriebstechnisch bahnbrechend wirkende Modell anzuschaffen.

Exterieur

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Der Toyota Mirai übernimmt die ganz extrem beim neuen Prius in Reinkultur umgesetzte und aktuelle Toyota Design-DNA und überhöht sie in vielen Bereichen sogar noch in die Extreme. Als Folge polarisiert die mit einem eher mittelmäßigen cw-Wert von 0,29 aufwartende Fastbacklimousine noch mehr. Wir wollen nicht in den Chor der ätzenden Kritiker einstimmen, die das Auto als „pottenhässlich“ abstempeln, räumen aber ein: es ist schon sehr gewöhnungsbedürftig.

Schon an der Front scheiden sich die Geister: Zwei riesige dreieckige Nüstern an den Außenseiten lassen das Auto sehr aggressiv daherkommen. Zum Großteil sind sie sogar Fake, denn nur an den äußeren Enden sind die Schlitze wirklich offen, um Luft zu den dahinterliegenden Kühlern zu führen. Sehr hübsch hingegen sind die senkrechten LED-Stäbe für die Tagfahrleuchten und die schlitzaugenförmigen Hauptscheinwerfer. Letztere bestehend aus vier in Reihe angeordneten eckigen LED-Leuchtkörpern und avancieren mit Details wie sichtbaren Kühlkörpern und Projektionslinsen zu einem kleinen Kunstwerk. Der untere und zentrale Kühllufteinlass läuft in einer Art Kinnspoiler aus – hier ist Obacht bei Manövern nahe Bordsteinkanten oder steilen Garageneinfahrten geboten.

Die fließende Silhouette soll laut Toyota-Design einem Wassertropfen gleichen. Was mit etwas Phantasie auch durchaus vor dem Auge erscheint. Noch stärker als beim Prius fällt das Dach über den hinteren Sitzen ab, was auch dem Mirai zu einer Fließheckoptik verhilft. Die dritten Seitenfenster sind dunkel getönt, jedoch nur von außen. Von innen erleichtern sie den Blick nach schräg hinten ungemein.

Am Heck fallen die zweigeteilten Rückleuchten und die im Stil älterer 7er BMW über die gesamte Breite reichende obere Leuchtenreihe auf. Ein Auspuff fehlt natürlich – denn alles, was der Mirai ausstößt, ist Wasser oder Wasserdampf.

Die 17 Zoll Felgen warten mit einer cleveren Innovation zur Gewichtsreduzierung auf: Durch einen erstmals angewandten Gravur-Prozess, bei dem Metall am Übergang von der Felge zum Felgenstern abgefräst wird, sinkt das Gewicht pro Rad um jeweils 500 Gramm.

Interieur

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Mit einem Radstand von 2,78 Meter streckt sich der Toyota Mirai nur acht Zentimeter mehr in die Länge als der Prius. In der Länge legt er jedoch deutlich zu – von 4,54 auf stattliche 4,89 Meter. Dieser Zuwachs macht sich leider in den realen Platzverhältnissen nicht bemerkbar. Hinten ist die Kopffreiheit selbst schon bei einer Größe von 1,75 Meter nahezu aufgezehrt; da man die Füße auch nicht wie beim Prius unter die Vordersitze schieben kann, ist es auch mit der Beinfreiheit nicht allzu weit her. Außerdem ist der Mirai nur ein Viersitzer – eine große und fest montierte Mittelarmlehne mit ausfahrbaren Cupholdern teilt die Rückbank in zwei Einzelsitze. Weder eine Durchreiche noch eine Klappmöglichkeit der fest installierten Rückbank spenden ein wenig mehr Variabilität. Der Kofferraum schrumpft im Vergleich zum Prius von 500 auf 360 Liter – hier liegen die Wasserstofftanks und die ebenfalls im hinteren Bereich des Autos liegende Batterie einfach unverrückbar im Weg. Doch seien wir ehrlich: Dieses Platzproblem im Kofferraum gab es auch schon bei den frühen Prius und lange Zeit bei den Hybriden von Lexus – mittlerweile jedoch hat Toyota hier deutliche Package-Vorteile erzielt.

Der Armaturenträger wiederholt mit seinen stark skulpturierten Flächen und sich gegenläufig überschneidenden Linien die Formensprache der Außenhaut. Das wirkt eher unruhig und hat auch praktische Nachteile. Denn bis auf halbwegs große Türtaschen, zwei Cupholder und eine drahtlose Ladestation für Smartphones auf dem Mitteltunnel findet sich nicht das kleinste Staufach. Die Verarbeitung ist in Details nicht gerade premiumhaft – Beispiele die Hebel für die elektrische Sitzverstellung, die Abdeckklappe des Fahrerairbags mit riesigem Spaltmaß oder das Schließgeräusch des tief unten und daher schwer zugänglichen Handschuhfachs. Andere Details wiederum wirken recht wertig – wie die Chromeinlagen rund um die Türgriffe oder die weißen Sicherheitsgurte.

Die Sitze sind leider aus Leder- hier nimmt Autogefühl traditionell eine kritische Haltung ein – sehen aber dank Zweiton-Gestaltung gut aus und bieten dank stark ausgeformter Seitenpolster eine gute Führung bei Kurvenfahrt. Neben dem in Höhe und Längsrichtung elektrisch einstellbaren Lenkrad sind Fahrer- und Beifahrersitz achtfach elektrisch einstellbar; eine in der vorderen Türtafel untergebrachte Memory-Funktion speichert zwei verschiedene Einstellungen von Sitz, Lenkrad und Außenspiegeln. Das Lenkrad und alle vier Sitze sind zudem beheizbar.

Durchaus futuristisch wirkt die Mittelkonsole. Hier dominieren Klavierlack-Oberflächen, Touchscreens und digitale Displays in gleich drei Etagen. Sogar die gewünschte Lufttemperatur lässt sich per Wischbewegung und mit den Fingerspitzen auf dem schwarz getönten kapazitiven unteren Bedienfeld einstellen. Alle Schriftzüge und Schalter sind per LED bei Tag weiß hinterleuchtet, bei Nacht erstrahlen sie in Blau.
Darüber sind die zwei mittleren Luftausströmer und das große zentrale 7-Zoll-Multifunktionsdisplay angeordnet. Vom Prius bekannt sind die beiden oberen je 4,2 Zoll großen TFT-Anzeigen. Links für die aktuelle Geschwindigkeit und rechts für Darstellungen der Energieflüsse sowie diverser Diagramme zu Energieverbräuchen und Betriebszuständen des Brennstoffzellensystems.

Insgesamt hinterließ das Interieur auf uns einen gemischten Eindruck. Manches wirkt spacig, anderes zu verspielt, manches edel – wie die weichen Pads in den Türverkleidungen und an der Armaturentafel – manches etwas billig. Die Übersicht jedoch ist nach allen Seiten gut, nicht selbstverständlich bei einer so großen Fließhecklimousine.

Motor

Kommen wir nun zum wichtigsten Aspekt des Autos. Und beginnen mit einem kurzen Exkurs in die Chemie. Eine Brennstoffzelle ist ein elektrochemischer Energiewandler, der im Gegensatz zu Batterien aus der chemischen Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff elektrische Energie gewinnt. Solange beide Stoffe zusammengebracht werden, produziert die Brennstoffzelle kontinuierlich Strom. Sie übernimmt damit die Rolle des Verbrennungsmotors in einem Hybridmodell. Mit dem Unterschied, dass sie den Kraftstoff nicht verbrennt. Solch ein Brennstoffzellen-Stack – bestehend aus hunderten in Reihe geschalteter Einzelzellen – glänzt mit einem doppelt so hohen Wirkungsgrad wie ein Benzinmotor, in Zahlen: 60 Prozent.

Den Antrieb übernimmt wie gehabt ein Elektromotor, der mit Strom aus der Brennstoffzelle betrieben wird. Als einziges Abfallprodukt entsteht Wasserdampf, jedoch weder CO2, Schwefeldioxid (SO2) oder Stickoxide (NOX). Das Anfahren erfolgt mit Strom aus der Batterie, während beim „normalen“ Fahren der unter den Vordersitzen verstaute Brennstoffzellen-Stack Strom für den E-Motor liefert. Beim Beschleunigen sind Brennstoffzelle und die 1,6 kWh Nickel-Metall-Hydrid Batterie dann gemeinsam im Einsatz. Im Gegenzug wird in der Stellung „B“ des Joystick-artigen Getriebewählhebels Bremsenergie rekuperiert.

Die lineare Beschleunigung direkt aus dem Stand ist systemtypisch. Nur ab und an dringen leise Geräusche ans Ohr, speziell von einem elektrisch betriebenen Luftverdichter, der beim Gasgeben Luft zu den Brennstoffzellen pustet. Je stärker man beschleunigt, desto deutlicher wird das Geräusch, ohne jemals zu lästig zu werden. Mit dem 154 PS starken Elektromotor beschleunigt der 1,85 Tonnen schwere Mirai in knapp unter zehn Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die 335 auf die Vorderräder wirkenden Nm an Drehmoment lassen das Auto nicht untermotorisiert wirken, auch nicht am Berg. Dass trifft vor allem auf den Power-Modus zu, der im Gegensatz zum Eco-Modus noch mal spürbar mehr Durchzug entfacht. Auf der Autobahn ist der Toyota Mirai ebenfalls kein Verkehrshindernis – knapp 180 km/h sollen laut Toyota drin sein.

Die beiden 700 bar Hochdrucktanks mit Wasserstoff verleihen dem Toyota Mirai eine Reichweite von 500 km. Sie fassen zusammen fünf Kilo, was bei einem Preis von 9,50 Euro pro Kilo knapp über 40 Euro für eine Füllung ausmacht. Das Tanken erinnert ein wenig an die Befüllung eines Erdgasfahrzeugs und geht nach etwas Eingewöhnung gut zur Hand. Es dauert auch nur drei bis fünf Minuten, dann sind die beiden durch eine Kohlefaserhülle selbst gegen üble Intrusionen leidlich gut geschützten Reservoirs (einer liegt vor, der andere hinter der Hinterachse) wieder voll.

Wasserstoff ist auf der Erde nicht in reiner Form anzutreffen, muss daher aus Wasser, Erdgas oder Biomasse gewonnen werden. Dazu ist immer Energie nötig. Deshalb ist es laut Toyota sprachlich korrekter, Wasserstoff als Energieträger oder Speichermedium zu bezeichnen denn als Energiequelle. Die CO2-Gesamtbilanz – well-to-wheel oder well-to-tank – hängt sehr stark vom jeweiligen Produktionsverfahrens ab. Selbst bei Gewinnung des Wasserstoffs in der nicht gerade sehr umweltfreundlichen Dampf-Reformierung aus Erdgas fallen laut der Firma Linde 30 Prozent weniger CO2 an als bei einem Benziner. Die Gesamt-Ökobilanz soll sich durch die Verwendung von Biogas oder – noch viel besser – Windenergie und Elektrolyse in Richtung 70 Prozent verbessern. Schon heute kommt, so Linde, an den aktuell 21 öffentlichen deutschen Wasserstofftankstellen das H2 zu mindestens 50 Prozent aus „grünen“ Produktionsverfahren.

Was unabhängig davon bleibt, sind viele weitere Vorteile: Im Gegensatz zu CO2 absorbiert Wasserstoff keine Infrarotstrahlung und hat deshalb keine Auswirkungen auf die globale Erwärmung. H2 lässt sich dauerhaft speichern, kann über das in Deutschland vorhandene riesige Erdgasnetz transportiert werden und lässt sich jederzeit rückverstromen. Und es birgt den großen Vorteil, keine großen Speicherbatterien ins Auto packen zu müssen, um eine große Reichweite und genügend Fahrdynamik zu erzeugen. Zudem müssen keine neuen Tankstellen gebaut werden – falls genügend Platz für die erforderlichen Zusatzeinrichtungen wie zum Beispiel die Kompressorstation vorhanden ist. Wasserstoff ist das leichteste Gas auf der Erde, Farb- und geruchlos und ungiftig. Und weist im komprimierten Zustand eine höhere Energiedichte auf als Batterien.

Fahrverhalten

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Der Mirai ist ein relativ großes Auto und lässt sich längst nicht so handlich bewegen wie der leichtere Prius. Dennoch hält sich die Seitenneigung der Karosserie bei Kurvenfahrt in Grenzen; auch die Lenkung ist längst nicht so gefühlsarm und indirekt wie zunächst von anderen Quellen kolportiert. Klar würde es nicht schaden, sie einen Tick direkter auszulegen und im gleichen Zug auch das Feder-/Dämpfer-Set-up ein wenig nachzuschärfen. Denn tendenziell federt der Mirai schon recht weich ab, was sicher auch damit zu tun hat, das bislang Europa nicht so im Focus seiner technischen Väter stand.

Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass der Toyota Mirai im Gegensatz zum neuen Prius noch auf einer alten Plattform steht, ist das Handling sogar erstaunlich gut. Denn unter anderem muss er noch mit einer Torsions-Hinterachse anstelle einer moderneren Doppelquerlenker-Konstruktion Vorlieb nehmen.

Verbesserungswürdig wären jedoch die Bremsen, sprich deren Ansprechverhalten. Das ist etwas schwammig, es fehlt ein eindeutiger Druckpunkt im Pedal.

An Assistenzsystemen hat der Mirai ein Pre-Collision-System, einen Totwinkel-, Rückraum- und Spurhalte-Assistenten zu bieten. Dazu eine Rückfahrkamera, Fernlicht- und Parkassistenten und neben den üblichen Airbags auch noch einen Luftsack zum Schutz der Knie. Serienmäßig an Bord ist zudem ein Sound System von JBL mit elf Lautsprechern.

Fazit: Toyota hat als Erster den Schritt in eine neue Technik gewagt – wie 1999 auch schon beim Prius. Viele andere, darunter Daimler und Nissan, zögern noch, belassen es bei Kleinserien und Prototypen. Hyundai bietet immerhin noch den optisch schon veralteten ix35 Fuel Cell an – mit einem Netto-Listenpreis von 55.000 Euro profitiert er sogar von der 4.000 Euro hohen Förderung für maximal 60.000 Euro kostende Elektrofahrzeuge. Noch im August startet Linde in München sogar ein Car Sharing-Projekt mit 50 ix35 Fuel Cell-Modellen. Honda dagegen hat seinen Clarity nie nach Europa exportiert.

Doch zurück zum Toyota Mirai, der bei allen Kontroversen um sein Design optisch komplett eigenständig ist. Wenn man ihn gefahren hat, könnte man sich gut vorstellen, in spätestens zehn Jahren nur noch Wasserstoff statt Diesel zu tanken. Deutschland und viele andere Länder würden sich unabhängiger von Erdöl und Erdgas machen, vor allem, wenn der Stoff verstärkt aus erneuerbaren Quellen produziert wird.

Doch politisch – dieser Eindruck drängt sich auf – ist ein zu schneller Einstieg in die Wasserstoff-basierte Gesellschaft nicht gewollt. Zumal ja gerade erst mit viel Mühen versucht wird, die Begehrlichkeit von batterieelektrisch angetrieben Modellen zu steigern. Nicht anders zu erklären ist der langsame Ausbau des Tankstellennetzes in Deutschland: In zwei Jahren sollen 100, bis 2023 auch nur 400 Zapfpunkte entstehen. Ein flächendeckendes Netz muss jedoch mindestens 1000 Tankstellen umfassen. Und selbst dann wird es – siehe das knapp unter dieser Marke stagnierende Netz an Erdgastankstellen – oft noch als zu löchrig empfunden.

So ist der Toyota Mirai im Grunde ein Versprechen auf eine umweltfreundlichere Zukunft. Man darf gespannt, sein, wer wann nachzieht. Vielleicht hilft Diesel-Gate mit seinen Nachbeben, das Ganze zu beschleunigen. Doch dazu müssten – auch das gehört zu einem ehrlichen Fazit – auch die Preise für diese noch etwas exotische Technik erst noch einmal deutlich sinken.

Abmessungen

Länge: 4,89 Meter
Breite: 1,81 Meter
Höhe: 1,54 Meter
Radstand: 2.78 Meter
Gewicht: 1.850 kg

Autogefühl: ***

Text: Autogefühl, Thomas Imhof
Fotos & Kamera (Video): Autogefühl, Michel Weigel