Nissan Leaf mit neuer 30kWh Batterie Fahrbericht

Wenn die Bedienungsanleitung eines Autos so dick ist wie das Telefonbuch von New York, kann es sich eigentlich nur um ein Fahrzeug aus dem absoluten Top-Segment handeln oder um ein Auto, dass so kompliziert ist, dass es man kaum intuitiv fahren kann. Nicht immer! Nissan spendiert seinem Leaf eine ausführliche Dokumentation und trotzdem lässt sich das Elektrofahrzeug nahezu ohne Probleme fahren. Wie weit und wie gut, klärt dieser Fahrbericht. Der Nissan Leaf, jetzt mit größerer Batterie (30 kWh) und mehr Reichweite. Von Thomas Blachetzki

Nein, eine Schönheit ist er in unseren Augen nicht, dieser Nissan Leaf Acenta in der Farbe „Bronze“. Die aufgesetzten Frontscheinwerfer, die der Aerodynamik dienen sollen, und das eigenwillig geformte Heck wirken ein wenig futuristisch. Aber trotzdem ist der Nissan Leaf das meistverkaufte Elektrofahrzeug der Welt. Wie kommt das? Liegt es vielleicht an seiner neuen durchaus akzeptablen (theoretischen) Reichweite von bis zu 250 km? Oder am Platz für 5 Personen und Gepäck? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

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Also fangen wir an. Wir wollen testen, wie weit man unter realistischen Bedingungen mit dem Leaf fahren kann.

Mit dem Drücken des Starterknopfes erwacht der Leaf mit allerlei Blingbling und einem Mäusekino, danach kehrt Ruhe ein. Kein Rappeln, kein Schütteln des Motors, keine weiteren Geräusche. Ein wohltuende Stille. Dann geht es los! Eine echte Gangschaltung gibt es nicht, sondern nur einen futuristisch anmutenden Knubbel auf dem Mitteltunnel, der blau leuchtet. Einen Rückwärtsgang, 2 Fahrprogramme für die Vorwärtsfahrt. Erst jetzt bemerkt man, wie laut die Benziner und Diesel auf der Nebenspur sind. Ein beherzter Druck auf das Gaspedal lässt einen erstmal erschrecken. Der Wagen beschleunigt auf Wunsch durchaus sportlich. Keine Gedenksekunde, kein Turboloch. Volle 254 Newtonmeter ab null Umdrehungen. So gewinnt man (fast) jeden Ampelsprint (0-50 km/h in 3,4 Sekunden). Eine Erfahrung, die bei vielen eingefleischten Verbrennungsmotor-Fahrern für Erstaunen sorgt. Umgerechnet 109 PS leistet der Elektromotor und bringt den über 1,5 Tonnen schweren Wagen maximal bis auf abgeregelte 144 km/h.

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Aber das steht nach kurzer Fahrt nicht im Vordergrund. Es ist das Gefühl, möglichst weit mit einer Batterieladung zu kommen, das „Mitschwimmen“ im Verkehr. Sanftes Beschleunigen, vorausschauendes Fahren, die Bremse möglichst wenig betätigen, um nicht sinnlos Energie zu vergeuden. Durch die Rekuperation noch einige Kilometer Reichweite zu gewinnen. Eine Challenge! Das macht der Leaf erstaunlich gut. Ein etwas zu weich abgestimmtes Fahrwerk, das jegliche sportliche Ambitionen gleich ausbremst, unterstützt den Wunsch nach gemütlichem Fahren. Dass die elektrische Servolenkung sehr leichtgängig, aber auch sehr indirekt ist, passt dazu. Wir fahren im „B-Modus“, der eine deutlich höhere Rekuperation hat, um möglichst weit zu fahren. Nach einiger Übung macht dieses Fahrprogramm die Bremse fast überflüssig. Lupft man das Gaspedal, bremst der Wagen durch die Rekuperation so stark, dass der Einsatz der Bremse im Idealfall nur noch die letzten Meter vonnöten ist. Alles unter dem Motto: Wer bremst, verliert! Dazu noch ein Druck auf die „Eco-Taste“ am Lenkrad und der Nissan Leaf fährt mit deutlich verringerter Leistung noch einen Tick weiter. Schön, dass uns das Infotainment-System Nissan Connect-EV erklärt, wie viele Kilometer Reichweite wir damit gewinnen. Das gilt übrigens auch für das Ausschalten der Klimaanlage. Das System zeigt uns aber auch Verbrauchsstatistiken, die nächste Ladesäule und die optimalste Route, lässt uns den Ladetimer programmieren, oder die Klimaanlage. Die Onlineanbindung aktualisiert auf Wunsch per Knopfdruck die Daten und sorgt so für einen aktuellen Stand. Zumindest in unserem Testgebiet funktionierte das zuverlässig, wenngleich etwas langsam.

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Weiter geht’s! Wir reihen uns ein wenig schwitzend durch die ausgeschaltete Klimaanlage in die Kolonne der Lkw auf der rechten Spur ein. Schwimmen mit dem Verkehr und nehmen, z.B. in der Stadt oder auf der Landstraße, urplötzlich unsere Umwelt etwas anders wahr. Weil wir nun vermehrt mit offenem Fenster fahren, weil wir Gerüche wahrnehmen, die früher selten in den Innenraum unseres Fahrzeuges gelangt sind, aber auch das Radioprogramm vom Auto neben uns an der Ampel hören. So leise unterwegs zu sein, ist schon cool. Entspannend ist es zudem.

Mit jedem Kilometer geht uns die Fahrweise in Fleisch und Blut über und so wundert es uns nicht, dass nach einiger Zeit die Summer aus gefahrenen Kilometern und der Restreichweite tatsächlich bei rund 250 km steht. Oder anders ausgedrückt: ca. 12 kWh pro Hundert Kilometer. Elektrisch fahren „entschleunigt“ und Nissans Reichweiteversprechen scheint erreichbar. Aber nur, wer es sehr gemächlich angehen lässt.

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Und da ist schon der Haken an unserem Experiment. Wer es liebt, die Kraft des Elektroantriebes öfter zu spüren, der saugt den Akku schneller leer, als der Marathonläufer seine Wasserflasche nach dem Iron Man. Nein, der Nissan kann und will nicht allen gefallen. Wer z.B. im Außendienst arbeitet und täglich deutlich mehr fahren muss, für den ist der Nissan Leaf ganz sicher nicht das optimale Auto. Und auch notorische Ampelsprinter, „Linke-Spur-Fahrer“ und „Fuß-Lahme“ werden nicht glücklich. Obgleich die Ladesäulen-Infrastruktur immer weiter ausgebaut wird, parkt man seinen Wagen oftmals nicht direkt am Zielort, sondern zwangsweise an der nächsten Ladesäule. Und die kann manchmal weiter weg sein, als erhofft. Das heißt es denn ür den Rest zum Zielort: Per pedes! Leider blockieren immer noch sehr viele „normale Autofahrer“ die Parkbuchten vor den Ladesäulen. Das ist echt ärgerlich und kostet dann zusätzlich Zeit, um zur nächsten Ladesäule zu kommen! Auch wenn der Nissan Leaf nichts dafür kann. Zeit ist also ein wichtiger Faktor, den man auf jeden Fall einplanen sollte, wenn man elektrisch fährt.

Das Laden an sich geht einfach vonstatten. Entweder zu Hause an der normalen Schuko-Steckdose. Das dauert dann runde 12 Stunden, oder per Schnellladekabel an öffentlichen Ladesäulen. Das geht, je nach System entweder in rund 6 Stunden, oder in der 50 kW-Variante von null auf achtzig Prozent in einer halben Stunde. Empfehlenswert ist es natürlich noch, wenn der Energielieferant „Öko-Strom“ dafür benutzt, die Ladesäulen zu speisen. Nur so überzeugt dann auch die Öko-Bilanz. Das ging während unseres Versuches sehr gut. Wir haben während der Testphase den Autostromvertrag RWE ePower basic benutzt. Der kostet 4,95 Euro im Monat (bei 12 Monaten Laufzeit) und 30 Cent je Kilowattstunde, die ausschließlich durch regenerative Energien erzeugt werden. Eine übersichtliche App auf dem Smartphone hat uns zu den Ladesäulen geführt und bietet dann auch auf Wunsch ein anonyme Bezahlung per Paypal oder Kreditkarte an. Überhaupt ist der Nissan Leaf sehr nett ins Smartphone integriert. Von der Nissan-App lässt sich das Fahrzeug unter anderem orten, der Ladezustand und die Reichweite prüfen und – das ist wirklich klasse – die Heizung oder auch die Klimaanlage fernstarten. Am besten natürlich nur, wenn das Fahrzeug am Ladekabel hängt.

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In der mittleren Variante „Acenta“ liefert Nissan den Leaf auch schon mit einer mehr als ausreichenden Serienausstattung aus. Vom Multimedia- und Telematiksystem NissanConnect EV, über einen Regensensor, eine Fahrtlichtautomatik mit „Follow me Home“-Funktion, bis hin zur Rückfahrkamera und einer Geschwindigkeitsregelanlage, samt Begrenzer, sind die wichtigsten Dinge an Bord, die man als Fahrer braucht. Hier ist dann auch der CHAdeMO Schnellladeanschluss (bis 50 kW) dabei.

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Wer noch mehr Ausstattung will, wählt den Leaf „Tekna“. Dort sind u.a. 17”-Leichtmetallfelgen mit Bereifung 215/50 R17, ein Around View Monitor für 360° Rundumsicht, ein BOSE Soundsystem inkl. 7 Lautsprechern, sowie LED Scheinwerfer und Ledersitze serienmäßig.

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Das in unserem Testwagen optional verbaute Winterpaket (Serie im Tekna) beheizt auch noch das Lenkrad, sowie die Vorder-, als auch die Rücksitzbank. Dass die klassenüblichen Sicherheitsausstattungen wie ABS, ESP. Bremsassistent und 8 Airbags an Bord sind, braucht keiner besonderen Erwähnung. Wohl aber die Tatsache, dass der Leaf als erstes reines Elektroauto 5 Sterne im Euro NCAP-Crashtest erreicht hat.

Fazit: Elektrisch fahren macht Spaß! Auch, oder vielleicht wegen des Nissan Leaf. Die anfängliche Skepsis, Ziele tatsächlich zu erreichen und nicht mit leerem Akku im Niemandsland zu stranden, sind schnell verschwunden. Zumindest solange Ladestationen in der Nähe sind. Ist der gelieferte Strom auch „grün“ und nicht aus Atom-, oder Braunkohlekraftwerken, dann natürlich auch äußerst ökologisch. Wer die versprochene Reichweite erreichen will, muss allerdings diszipliniert fahren. Ampelsprints, oder auch schnellere Autobahnetappen zehren deutlich an der Reichweite. Und auch für Wohnwagenbesitzer oder „Kilometerfresser“ im Außendienst dürfte der Leaf die falsche Wahl sein. Wer über einige unschönen Dinge im Leaf, wie die Fußfeststellbremse (die dem Schienbein ziemlich nahe kommt), dem zerklüfteten Kofferraum oder auch dem eigenwilligen Design, hinweg sieht, bekommt aber ein vollwertiges Auto, das bereits heute für viele Fahrprofile ausreicht. Statistisch gesehen sind rund die Hälfte aller zurückgelegten Strecken unter 6 km. Also wie gemacht für ein Fahrzeug wie den Nissan Leaf. Und ja, auch Reichweiten von über 200 km sind realistisch. Die Zukunft ist also da! Auch wenn sie noch nicht ganz günstig ist. Mit der neuen Elektroprämie ist der Leaf aber im Kompaktsegment auf jeden Fall preislich noch relevanter geworden.

 

Technische Daten:

– Batterie mit 30 kWh Kapazität (Visia auch mit 24 kWh)
– Reichweite bis zu 250 Kilometer
– 0-100 km/h 11,5s
– Höchstgeschwindigkeit 144 km/h
– max. Drehmoment 254 Nm bei 0-3008 u/min
– Bremsen rekuperieren schon ab drei km/h
– 370 Liter Kofferrauminhalt

Abmessungen

4.45 Meter lang
1.77 Meter breit
1.55 Meter hoch
Leergewicht: 1505 kg – 1578 kg

Ladezeiten: Schuko ca. 12h
Schnelllader: Mode 3 22kw ca. 4-5 h
CHAdeMO Schnellladestationen 80% in 30 Minuten

Serienausstattung „Acenta“ u.a.:

– Informations- und Kommunikationssystem NissanConnect EV, das über eine Telematikeinheit mit dem Nissan Carwings Data Center verbunden ist
– Geschwindigkeitsregelanlage und Geschwindigkeitsbegrenzer
– CHAdeMO Schnellladeanschluss, Vehicle2Grid Ready, Gleichstrom (bis 50 kW)
– 16″-Leichtmetallfelgen
– Rückfahrkamera
– Regensensor

 

Preise:

ab 23.060 Euro (Visia-Ausstattung mit 24 kWh-Batterie bei Batterie-Mietoption) (ab 28.960 bei Batteriekaufoption), ab 28.060 Euro (Acenta mit 30 kWh-Batterie bei Batterie-Mietoption) (ab 33.960 Euro bei Batteriekaufoption) Garantie dann acht Jahre bzw. 160.000 Kilometer Laufleistung

Testwagenpreis: 36.187 Euro
(Alle reinen Elektrofahrzeuge nun abzüglich 4.000 Euro Umweltbonus)
Die Konkurrenten:

VW e-Golf, Reichweite max. 210 km, ab 34 900 Euro
BMW i3, Reichweite max. 190 km Reichweite, ab 34 950 Euro
Renault Zoé, Reichweite max. 240 km, ab 21 500 Euro (zzgl. mind. 49 Euro Batteriemiete)

Autogefühl: ***

 

Video/Fotos: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Text: Autogefühl, Thomas Blachetzki

 

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