Bilstein Stoßdämpfer Fahrwerkstest

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Hinter sehr vielen Teilen im Automobil steckt heute komplizierte Technik, die ausführlich getestet wurde. Natürlich nicht beim Plastikarmaturenbrett, aber gerade bei sicherheitsrelevanten Technologien sind Praxistests unabdingbar. Im emsländischen Automotive Testing Papenburg betreibt der Automobilzulieferer Bilstein eine Testwerkstatt für seine Hochleistungs-Stoßdämpfer. Denn dort existiert eines der größten und modernsten Testzentren Europas. Von Thomas Majchrzak

Wir jagen mehrere Mercedes C300 über das Motodrom in Hockenheim, ganz konzentriert auf die Fahrwerkseinstellungen. Anbremsen bis die Bremsen qualmen, in die Kurven pressen, bis die Reifen quietschen – einmal mit Sportdämpfern, einmal mit Seriendämpfern. Die Unterschiede machen sich direkt in den Rundenzeiten bemerkbar. Gut, wir sind nicht in Hockenheim, nur auf einer Nachbau-Strecke. Aber das macht die Sache nicht weniger spannend. Für einen Tag dürfen wir Fahrwerkstester sein – auf einem spektakulären Areal.

ATP Automotive Testing Papenburg Gelände, Foto: ATP
ATP Automotive Testing Papenburg Gelände, Foto: ATP

Bilstein Stoßdämpfer kommen im Automotive Testing Papenburg (ATP) nicht nur auf den Prüfstand, sondern sozusagen auch auf die Nordschleife des Emslands. Ein über 12 Kilometer langes Kurvenoval mit um bis zu 50 Prozent überhöhte Steilkurven, Areale für Fahrdynamik, Handling, Bremsen, Nasshandling, Schotter… hier läuft tatsächlich eine vierspurige Autobahn mitten durchs Emsland. Und innerhalb des Ovals befinden sich dann die einzelnen Teilstrecken, eine davon ist dem Motodrom in Hockenheim nachempfunden. Beste Bedingungen also, um Stoßdämpfer auf Herz und Nieren zu prüfen. Wie auf der Nordschleife lassen sich hier auf verschiedenen Testgeländen direkt schnell viele Kilometer und eine hohe Abnutzung in recht kurzer Zeit simulieren. Schließlich sollen Stoßdämpfer lange ihre Leistung behalten und das Fahrzeug sicher in der Spur und am Boden halten können.

Bilstein Werkstatt, Foto: Bilstein
Bilstein Werkstatt, Foto: Bilstein

Zu harte Stoßdämpfer sind unkomfortabel und können das Fahrzeug im schlimmsten Fall springen lassen, wenn einzelne Räder Stöße nicht abfangen können und abheben. Zu weiche Stoßdämpfer können das Fahrverhalten zu schwammig machen und das Fahrzeug im schlimmsten Fall unkontrollierbar machen, wenn es hin und her wippt.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Und was zu hart und was zu weich ist, bleibt zumeist auch noch stark subjektiv. Die einen finden ein Auto klasse sportlich, die anderen viel zu ruppig. Und unter all diesen Voraussetzungen muss ein Testingenieur bei Bilstein nun das optimale Setup für einen optimalen Dämpfer herausfinden. Nicht einfach, aber darum verbringen die Bilstein-Leute im Emsland auch so viel Zeit.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Das Automotive Testing Papenburg Zentrum gilt als eines der weltweit größten herstellerunabhängigen Automobil-Prüfgelände, wobei es mit der Herstellerunabhängigkeit nur so weit geht, als dass hier Daimler den Ton angibt. Der Baubeginn zum 780 Hektar großen Gelände war 1995, zwei Jahre später begann nach und nach der Testbetrieb, bis im Herbst 1998 die offizielle Eröffnung stattfand. 2011 übernahm die MBtech Group das Gelände, und dieses wurde einmal als Tochterunternehmen der DaimlerChrysler AG gegründet. Die französische Firma AKKA Technologies kaufte 2011 dann 65 Prozent der Anteile, doch Daimler ist damit heute noch immer mit 35 Prozent beteiligt – und belegt auch einen großen Teil des Geländes, um geheime neue Fahrzeuge zu testen. So kann man dort immer mal wieder camo-verkleidete künftige Mercedes-Modelle beobachten. Von außen ist das Gelände aber weitgehend abgeschirmt, obwohl eine öffentliche Straße dort hindurchgeht. Testfahrer zu sein ist übrigens bei Weiten kein Traumjob. Einmal muss man mitunter stundenlang dieselben Strecken fahren. Und man lebt gefährlich. Am ATP gab es bereits drei tödliche Unfälle, 2010, 2011 und 2012. Die ganzen Jahre davor zwar nicht, aber es zeigt: Wo mit hohen Geschwindigkeiten getestet wird, ist es auch immer sehr gefährlich. Wobei man auch sagen muss: Auf einer öffentlichen Autobahn ist es immer gefährlicher als auf dem Testgelände.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Was schätzt Bilstein am Gelände in Papenburg? Es liefert reproduzierbare Ergebnisse. Wenn Straßen restauriert werden, macht man diese nicht blitzeblank, sondern baut die bestehenden Fehler wieder mit ein, so dass sich ein immer gleich bleibender Belag ergibt. Bilstein Stoßdämpfer werden immer von zwei Personen im Auto getestet, man wechselt sich ab und tauscht dann hinterher Meinungen aus.

Grundsätzlich besitzen die meisten heutigen Autos eine Kombination von Schraubenfeder und Ölstoßdämpfer. Die Federung wandelt die Unebenheiten auf dem Boden in Schwingungen um und sorgt somit dafür, dass die Räder ein- und ausfedern und somit Bodenkontakt auch bei Unebenheit halten können. Die Schwingungen des Rades erfolgen letztlich dann gut zehnmal so schnell wie die der gefederten Karosserie. Da kann man sich vorstellen, wie Autofahren ohne Federn wäre. Für den echten Komfort – oder die Sportlichkeit – sorgt dann aber der Öldämpfer. Dieser wandelt Energie um – nämlich Bewegungsenergie in Wärmeenergie. Beim Ein- und Ausfedern des Dämpfers entsteht Reibung im Dämpfer-Öl, und durch Reibung entsteht bekanntlich Wärme, die dann an die Umgebung abgegeben werden kann. So ein Stoßdämpfer kann sich dann bis circa 100 Grad erwärmen, ist aber dafür auslegt.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Da das Dämpferöl 10 Prozent Gasanteil enthält, kann bei Druckdifferenzen ein Teil des Gases gelöst werden, je länger man fährt. Auf längeren Strecken nimmt damit dann die dämpfende Wirkung ab – um bis zu 35 Prozent. Dann müsste man längere Pausen einhalten, um die Stoßdämpfer leistungsfähig zu erhalten. Bei Bilstein Stoßdämpfern passiert das nicht, weil die Firma auf Gasdruckstoßdämpfer setzt. Dabei hält Stickstoffgas das Öl unter Druck, so dass der Gasanteil nicht entweichen kann und der Dämpfungskomfort immer erhalten bleibt. Durch diese Technologie ist Bilstein Erstausrüster von z.B. Audi, BMW, Ford, Jaguar, Aston Matin und Mercedes geworden.

1873 im heutigen Ennepetal als Fensterbeschläge gegründet, ging Bilstein 1928 in die Automobilindustrie – zunächst mit Wagenhebern. In den 1950er Jahren entdeckte Bilstein dann die Gasdruckstoßdämpfer-Technologie für sich – die 1957 zuerst in einem Mercedes in Serie ging. Damit begann dann der Aufstieg der Firma zu einem bedeutenden Zulieferer – und Partner im Motorsport. Etwa bei der Rallye Monte Carlo oder insbesondere als Ausrüster von Porsche – seit 50 Jahren. 1991 wurde Bilstein von Krupp übernommen, weshalb das Unternehmen heute zu ThyssenKrupp gehört.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Unser Fahrwerkstest erfolgt – um alles vergleichbar zu machen – in einer Mercedes C-Klasse C300 mit 3 Liter V6 Motor und 231 PS. Keine Sportskanone, aber es lässt sich ganz gut über das nachgebaute Motodrom jagen. Einmal mit Seriendämpfern, dann mit dem Bilstein Stoßdämpfer B6, mit dem Bilstein Stoßdämpfer B12 Pro-Kit und Tieferlegung bis 30 mm und dem Bilstein Stoßdämpfer B16 mit Gewindefahrwerk, der eine Tieferlegung von 30 bis 50 mm ermöglicht. Allesamt mit Gasdrucktechnologie. Moderne Stoßdämpfer lassen sich per Clicks in Druck- und Zugstufe direkt am Dämpfer verstellen, oder noch komfortabel teilweise sogar per iPhone App. Das brauchen wir aber nicht, weil genügend Vergleichsfahrzeuge zur Verfügung stehen.

Wir beginnen mit dem Serienfahrwerk. In den Kurven sinkt es merklich ein, wir gleiten recht smooth, aber mit vielen Lastwechseln über die Rennstrecke. Den Unterschied zum B6 Stoßdämpfer merken wir nicht wirklich, weil auch immer andere Faktoren eine Rolle spielen: Wie nass oder trocken ist die Strecke, wie abgefahren sind die Reifen … für Nicht-Profis sind die feinen Unterschiede nicht leicht zu erkennen. Der B12 mit Pro-Kit vermittelt dann zwar kein groß härteres Fahrerlebnis, aber gibt eine exaktere Rückmeldung. Das Fahrzeug lässt sich leichter in den engen Kehren manövrieren.

Der B16 Bilstein Stoßdämpfer mit Gewindefahrwerk schließlich macht dann aber einen richtig großen Unterschied: Plötzlich denken wir, dass wir in einem anderen Auto sitzen. Der Mercedes sinkt in den Kurven nicht mehr ein und wir kommen schneller mit mehr Schwung wieder aus den Kurven heraus. Gerade in schnellen Rechts-Links-Kombinationen spüren wir den Unterschied. Straffer, exakter, schneller. Dabei, und das ist das Kunststück, wird das Fahren aber nicht unkomfortabler.

Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein
Bilstein Stoßdämpfer Test auf dem ATP in Papenburg, Foto: Bilstein

Letztlich ist die Wahl des Dämpfers und der Einstellung eine Frage der persönlichen Vorliebe und des Einsatzgebietes. Bei langen Geradeausfahrten auf Autobahnen bei gemäßigtem Tempo ist die weichere Einstellung die richtige Wahl, beim Motorsport natürlich die straffe Einstellung. So kann es auch nach Zielmarkt für Bilstein verschiedene Anforderungen geben. Zum Beispiel komfortable Dämpfer für den asiatischen Markt und straffere Versionen für den deutschen Markt mit hohen Autobahngeschwindigkeiten. Allerdings kann man das auch nicht ganz pauschal sagen, weil es unter den asiatischen Herstellern wiederum sehr hip ist, in Deutschland zu testen oder testen zu lassen – tested in Germany, sozusagen. Wie hier in Papenburg.

Das zeigt, dass der Markt für Stoßdämpfer immer differenzierter wird. Nur eine Tendenz ist klar: die zur Individualität. Immer mehr Hersteller bieten adaptive Fahrwerke an, die sowohl den Komfort im niedrigen Geschwindigkeitsbereich bieten als auch die Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten. Und letztlich ist es dann wieder die Vorliebe des Kunden, was er oder sie als zu hart oder zu weich empfindet. In jedem Fall sollte man daran denken, dass moderne Stoßdämpfer unser angenehmes, sportliches (oder beides) Autofahren erst ermöglichen.

Text: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Fotos: Bilstein; ATP

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