Erstmals bietet Jaguar für sein Flaggschiff XJ und die mittelgroße Limousine XF einen Allradantrieb an. Beide Male in Kombination mit jenem 340 PS starken 3,0-Liter-V6-Kompressor-Benziner, der auch im Roadster F-TYPE zum Einsatz kommt. Fahrbericht mit dem 4×4-„Jag“ im frühlingshaften deutschen „Winter“. Von Thomas Imhof
Jaguar ist – fast möchte man sagen endlich – auf dem Sprung. 2013 legte die Raubkatzenmarke auf dem mit 4,2 Prozent rückläufigen deutschen Markt um 30,1 Prozent zu. Mit 4.160 verkauften Fahrzeugen war der Anbieter der vier Baureihen XF, XK, XJ und F-TYPE damit der größte Gewinner des gesamten Marktes.
Leistungsträger war 2013 der zuletzt 2011 vor allem an der Frontpartie facegeliftete Jaguar XF. Mit 2.803 Zulassungen verbesserte er sein Vorjahresergebnis um nochmals mehr als 20 Prozent. Die Einführung neuer, kleinerer Dieselmotoren und die gute Nachfrage nach dem neuen Kombi XF Sportbrake zeigten eindeutig positive Wirkung.
Größter Einzelmarkt für Jaguar blieb auch 2013 Nordamerika, wo die Raubkatzenmarke unter anderem dank der neuen Allradmodelle um 44 Prozent wuchs. Sie dürften aktuell dort sehr geschätzt sein…. Seit dem letzten Winter – der diesen Namen ja wahrlich verdiente – bietet Jaguar den XF auch in Deutschland mit dem technisch dem Xdrive von BMW ähnelnden Allradsystem ein. Leider – und nun müssen deutsche Jaguar-Fans tapfer sein- gibt es Allradtraktion nur für die Limousine und in Verbindung mit dem per Kompressor aufgeladenen 3,0-Liter-V6. Für die USA voll okay, doch Europäer würden den 4×4-Strang lieber in Kombination mit den exzellenten Jaguar Diesel-Motoren und am liebsten zusätzlich auch im Bug des Kombis haben. Denn solch ein XF Sportbrake 4×4 mit 2.2 oder 3.0 Liter Diesel wäre der ideale Wagen für die Fahrt in den Skiurlaub.
Doch der Aufwand für den Einbau des AWD-Antriebs ist hoch – unter anderen wollen Antriebswellen durch die Ölwanne geführt werden, und es kommt auch ein neuer Hilfsrahmen zum Einsatz. Technisch wäre es möglich gewesen, Allrad und Diesel zu kombinieren, doch hätte sich der Aufwand angesichts des weltweiten Diesel- und Sportbrake-Anteils der Baureihe (noch) nicht gelohnt, heißt es aus Jaguar-Kreisen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich in Deutschland 48 Prozent aller XF-Kunden für den ausschließlich mit Diesel-Motoren angebotenen Kombi entscheiden und der Selbstzünder-Anteil bei der Limousine mit 94 Prozent fast die 100-Prozent-Marke erreicht.
Bleibt die Frage, was dennoch für den Erwerb eines Jaguar XF 3.0 L V6 AWD spricht? Nun, es beginnt bei dem unverändert attraktiven Äußeren des XF, das durch das Facelift 2011 nochmal deutlich gewonnen hat. Weg sind die zuvor eher an koreanische Modelle erinnernden Scheinwerfer – die neuen wirken katzenartiger und tragen J-förmig liegende Taglichtbänder. Das 900 Euro Black Pack, bei dem alle sonst in Chrom gehaltenen Zierleisten und der Grilleinsatz eingeschwärzt sind, steigert noch das lässige Unterstatement des auf schönen 19-Zoll-Felgen stehenden Modells.
Der Basispreis von 57.000 Euro lässt sich mühelos über die 60.000er-Marke und darüber hinaus treiben. Denn leider ist das wenigste an einem Jaguar XF serienmäßig, vieles nur in Form von Paketlösungen oder als Einzeloption erhältlich. Ein genaues Studium der Preisliste ist in jedem Fall angeraten. Ein Auszug aus ihr nennt einige Extras: Rückfahrkamera 800 Euro, Toter-Winkel-Assistent 540 Euro, Reifendruckkontrollsystem 590 Euro, beheizbares Lenkrad und Sitzheizung vorn je 400 Euro, gekühlte und aktiv belüftete Vordersitze 1.200 Euro, elektrische Sitzverstellung ab 300 Euro, Keyless Entry 590 Euro, getrennt umklappbare Rückbank 500 Euro, Skisack 290 Euro, seitliche Lufteinlässe in Chrom 200 Euro – die Liste ließe sich noch fortsetzen.
Unser Testwagen verfügte neben fast all diesen Goodies auch über das für 3.100 Euro erhältliche Softgrain-Lederinterieur. Es ist der standardmäßigen Bond-Grain-Ausführung aufgrund des deutlich höheren Qualitätseindrucks und Streichelfaktors allemal vorzuziehen. Und passt bestens zu den Aluminium-Oberflächen am Armaturenbrett sowie den farblich in einem helleren Braun-Ton abgesetzten übrigen Flächen in den Türen.
Beim Starten des Jaguar XF 3.0 L V6 AWD erlebt man eine wohl orchestrierte Startprozedur. Der „Starter button“ pulsiert rot, der „Drive Selector“ – der aus dem vollen und am frühen Morgen noch kalte Aluminium Getriebewählschalter – fährt aus seiner Versenkung und die vier Lüfterdüsen schwingen sphärisch surrend in ihre Bereitschaftsstellung.
Der 340 PS starke V6-Motor des Jaguar XF 3.0 L V6 AWD ist uns aus dem „kleinsten“ F-TYPE bekannt. Wirkt aber in dem aus Stahl gefertigten XF (Gewicht 1.880 Kilo) naturgemäß nicht ganz so spritzig wie im 280 Kilogramm leichteren Voll-Alu-Cabriolet. Doch mit einer spezifischen Leistung von 113,5 PS pro Liter und einem zwischen 3.500 und 5.000 Touren anliegenden maximalen Drehmoment von 450 Nm bietet er Leistung satt in allen Lebenslagen. Zumal schon bei knapp über 2.000 Touren 400 Nm abzurufen sind, was zügigstes Anfahren aus dem Stand erlaubt.
Zumal das mit einer elektronischen Lamellenkupplung kooperierende Verteilergetriebe beim Sprung aus dem Startblock und bis 10 km/h einen Schuss Drehmoment auf die Vorderachse schickt. Ansonsten jedoch war der Jaguar XF 3.0 L V6 AWD bei frühlingshaften Temperaturen im deutschen „Winter“ 2013/14 immer als Hecktriebler unterwegs. Nur bei Schlupf an der Hinterachse wird bedarfsgerecht Power nach achtern geleitet – bis zu einer Verteilung von maximal 50:50. Im vom Cockpit aus anwählbaren Winter-Modus wird hingegen eine Einstellung von 30:70 Prozent eingestellt – um jederzeit auf Schnee- und Matschreste oder eine tückische Eisplatte eingestellt zu sein.
Jaguar gibt für den Sprint von 0 auf 100 km/h einen Wert von 6,4 Sekunden an – was exakt dem Wert des 110 Kilo leichteren 3,0 Liter V6 Diesel S mit 240 PS entspricht. Die Achtstufen-Automatik von ZF arbeitet gewohnt ruckfrei und flüssig, nur die „Pedal shifts“ am Lenkrad sollten aus solidem Metall oder Alu statt aus Kunststoff sein. Passt nicht ganz zum ansonsten wertigen Ambiente.
Wer den Jaguar XF 3.0 L V6 AWD mit 120 km/h über die Autobahn fährt, fühlt sich wie in einem V8 – bis auf ein leises Säuseln des Windes dringt nichts, aber auch rein gar nichts ans Ohr der Insassen. Dann ist es auch möglich, den „Jag“ mit Verbräuchen von an die 12 Liter/100 km zu bewegen. Sobald jedoch die Gangart verschärft wird, steigt der Konsum schnell in Richtung 14 Liter/100 km. Was dann doch etwas hoch ist.
Auf kurvigen Landstraßen ermuntert der Jaguar durchaus zu einer sportlichen Fahrweise. Natürlich ist hier kein XFR am Start, aber die Lenkung zeigt sich wohl ausgewogen sowie linear und direkt im Ansprechen. Dennoch ist die Stärke dieses XF weniger die Kurvenhatz, sondern das komfortable und zügige Zusammanzoomen längerer Distanzen.
Die Platzverhältnisse sind trotz der coupéartigen Dachlinie auch auf der Rückbank akzeptabel, der nach VDA-Norm 500 Liter große Kofferraum ist mit 1,10 Meter zwar recht lang, aber mit 53 Zentimeter Höhe auch recht niedrig. Wer die klappbare Rückbank ordert, kann das Volumen auf immerhin 963 Liter steigern. Ein kleines Ärgernis ist der Schmutzfang an den Gasdruckfedern des Kofferraumdeckels – hier sammelt sich an schwer zu reinigender Stelle gerne Laub und kleines Geäst.
Die Sitze sind sehr bequem, allerdings belastet die Führung des Sicherheitsgurtes die Flanke, sodass schneller Lederverschleiß droht. Ab einer bestimmten Außentemperatur schaltet sich von selbst die Frontscheibenheizung an – eine feine Sache, die Jaguar gerne auch auf eine dann automatisch anspringende Sitzheizung ausdehnen könnte.
Überhaupt die Bedienung: Sie wirkt speziell im Vergleich zu den deutschen Premiummodellen inzwischen ein wenig veraltet. Es gibt keinen zentralen Dreh-/Drückschalter auf dem Mitteltunnel, das Touchscreen-Display ist mit sieben Zoll relativ klein und der Rechner reagiert auch immer noch recht lange, um in die einzelnen Menüs zu kommen. Es dauert auch seine Zeit, bis nach Einlegen des Rückwärtsgangs das (scharfe) Bild der Rückfahrkamera aufblendet. Immerhin hat Jaguar im Zuge des Facelifts unterhalb des Touchscreens drei neue Drucktasten mit direktem Zugriff auf wichtige Menüs wie Navigation oder Radio eingeführt. Man hört auf Kommentare der Kunden.
Was Jaguar jedoch noch völlig fehlt, ist die bei anderen Marken schon deutlich weiter entwickelte digitale Vernetzung des Fahrzeugs mit seiner Umwelt – darunter auch ein bordeigener Internet-Zugang. Hier dürften die Briten in den nächsten Jahren aber schnell aufholen, auch dank Kooperationen der erst vor wenigen Tagen bekanntgegebenen Beteiligung an einem Konsortium mit MIT AgeLab, DENSO und Touchstone Evaluations zur Definition und Entwicklung neuer intuitiver Mensch-/ Maschineschnittstellen.
Fazit: Ein Jaguar XF 3.0 V6 Kompressor ist im Segment der Business-Limousinen immer noch eine verlockende Alternative zu deutschen Konkurrenzprodukten. Sein geschmackvolles Interieur, das überaus niedrige Geräuschniveau und das geschmeidige Wegbügeln von Wellen und Stößen aller Art machen ihn zu einem idealen Langstreckenwagen. Der bei Bedarf auch mal die Muskeln spielen lässt. Dank des leider für den Kombi XF Sportbrake nicht lieferbaren Allradantriebs (Aufpreis in der Limousine 3.000 Euro) dürfen die Fahrten gerne auch in die Alpen oder deutschen Mittelgebirge gehen. Auf der Negativ-Seite stehen neben dem bei schneller Fahrt zu stark ansteigenden Verbrauch die komplexe und etwas kleinliche Aufpreispolitik und die nicht mehr ganz taufrischen Bedienelemente. Auf dem Infotainment-Sektor hat der Nachfolger des 2008 eingeführten XF, für den Jaguar unter anderem neue Vierzylinder-Benziner und eine Aluminium-Architektur in Planung hat, den vielleicht größten Nachholbedarf. Doch dafür verströmt schon heute der XF 3.0 L V6 AWD dieses typische Jaguar-Flair, das Fans der Marke seit jeher lieben. Und das uns großzügig über seine kleinen Schwächen hinwegsehen lässt.
Autogefühl: ****
Text: Autogefühl, Thomas Imhof
Fotos & Video: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Kommentare sind geschlossen.