Citroën – und damit auch der krisengeplagte und wohl nur durch eine Beteiligung der Chinesen von Dongfeng weiter überlebensfähige PSA-Konzern – lebt! Der selbst ernannte Avangardist und Créateur solch legendärer Modelle wie DS, CX, SM, C6 und in der Neuzeit DS3/DS5 sticht mit dem Citroën C4 Cactus ins Herz all jener Schwarzseher, die Frankreichs Autodesigner und -bauer schon abgeschrieben hatten. Mit erfrischend neuen Ideen, die man in dieser Form zum Beispiel von Volkswagen kaum erwarten dürfte. Von Thomas Imhof
Allein schon der Name – Cactus – ist mutig. Impliziert er doch eher Kratzbürstigkeit und Stacheligkeit als ein Auto, das mit in Kontrastfarbe gehaltenen Schutzschildern die Karosserie vor den gerade in Paris alltäglichen Bagatellschäden schützt. Denn Stoßstangen werden hier traditionell noch als solche eingesetzt. Nein, der Citroën C4 Cactus wirkt charmant und keineswegs ruppig, setzt die Marke mit dem Doppelwinkel mal wieder prominent ins Rampenlicht.
Aber alles hübsch der Reihe nach! Auf der IAA im letzten September zeigten die Franzosen bereits eine Studie zum C4 Cactus. Und die frohe Kunde: Für die jetzt gezeigte Serienversion wurde nahezu alles übernommen, was uns schon damals in Frankfurt so gut gefallen hat. Im bekanntlich stark umkämpften Golf-Segment verquickt der Cactus hohen Nutzwert mit einer für französische Autos früher fast selbstverständlichen, weil simplifizierten Ästhetik.
Citroën behauptet, endlich mal das Augenmerk auf den Kunden und dessen Wünsche gelegt zu haben, anstatt darauf zu lauern, was die liebe Konkurrenz so macht. Das dabei kein Me-too-Produkt entstehen konnte, war zu erwarten. Herausgekommen ist vielmehr ein Auto ohne aggressive Kühlerschlunde à la Ford Focus, extrem flach liegende Frontscheibe und früh abfallende Dachlinie. Dabei widerstanden die Designer dem Drang, beim Kunden eines Cactus den Beschützerinstinkt hervorzurufen. Das Auto wirkt selbstbewusst und solide, jedoch dank der raffinierten Gestaltung des Dachaufbaus und der C-Säule auch leicht und schwebend.
Optisch augenfälligste Neuheit sind die in Kontrastfarben gehaltenen Airbumps in den Flanken und den Stoßfängern. Sie sind in vier Farben erhältlich (Black, Grey, Dune und Chocolate) und können mit zehn Karosseriefarben und drei Innenausstattungen (Ambiente Stone Grey, Pack Habana Inside und Pack Purple Inside) kombiniert werden.
Wer oft auf engem Raum einparken muss, darf sich freuen: Denn die nachgebende Oberfläche der aus TPU (Thermo Plastic Urethan) bestehenden Prallkissen verfügt über Luftkapseln als Aufpralldämpfer. Bagatellschäden dürften damit glimpflicher ausfallen als bei pflasterlosen Modellen. Die Airbumps erfordern laut Citroën auch keine besondere Wartung – sind also hoffentlich auch 100prozentig waschenanlagenfest und resistent gegen Ausbleichung bei intensiver Sonnenbestrahlung.
Stimmig wirken die Proportionen: Zum langen Radstand von 2,60 Meter kommen sehr knappe Überhänge, das Längenmaß von 4,16 Meter sprengt keineswegs die Klassenstandards, dafür ist der Citroën C4 Cactus mit 1,48 Meter eher flach. Das Verhältnis von Glashaus zu Karosserieblech (1/3 zu 2/3) überzeugt ebenso wie die zumeist sehr glatten und schnörkellosen Flächen, die zusammen mit fließenden Konturen das genaue Gegenteil erzeugen, was zum Beispiel ein aktueller Seat Leon vermitteln will.
Die Lichtsignatur mit den schlitzäugigen oberen LEDs für das Tagfahrlicht und die in die vorderen Airbumps integrierten Scheinwerfer erinnert (wohl bewusst) an den C4 Picasso.
Die zweite kleine französische Auto-Revolution findet im Interieur des Citroën C4 Cactus statt. Wie schon an der IAA-Studie angedeutet, beschert auch im Serienmodell eine durchgehende vordere Sitzbank Sofa-Gefühle. Der Beifahrerairbag ist im Dachhimmel statt im Armaturenträger angebracht, was ihm zum Entfalten einen längeren Weg, dem Beifahrer aber mehr Freiraum und ein 8,5 Liter großes Handschuhfach beschert. Im Fond soll das neue Auto trotz geringerer Gesamtlänge ähnlich viel Knieraum bieten wie der nun auslaufende C4. Als Kofferraumvolumen nennt Citroën 358 Liter.
Dem Krieg der Knöpfe bereiteten die Franzosen durch einen zentralen 7-Zoll-Touchscreen ein Ende – über ihn werden alle wichtigen Funktionen wie Klimaanlage, Medien, Navigationssystem, Fahrzeugeinstellungen, Telefon, Internet und Assistenzsysteme gesteuert. Via Touchscreen und 3G-Stick gibt es zudem Zugang zum Anwendungsportal Citroën Multicity Connect. Darüber erfahren user unter anderem den Weg zur nächsten und/oder günstigsten Tankstelle, die Position des nächsten Hotels oder Restaurants und über die Anwendung „Michelin Trafic“ Infos zur Verkehrslage.
Zugleich ersetzt ein digitaler Bildschirm das sonst vor den Fahreraugen sitzende Kombiinstrument – wie im neuen BMW i3 sind analoge Anzeigen komplett aus dem Cockpit verschwunden.
Dank der erfrischend aufgeräumten Architektur des Interieurs genießen die Insassen ein positives Raumgefühl – sicher noch verstärkt durch das tief liegende und streng horizontal gegliederte Armaturenbrett. Eine Hommage an die Welt der Koffer und Taschen sind lederne Spanngurte an den Türgriffen oder Eisenbeschläge an der Oberseite des Armaturenbretts – sehr ungewöhnlich für ein Modell der Mittelklasse.
Zu den (wenigen) für den neuen Citroën C4 Cactus lieferbaren Fahrhilfen gehört ein selbsttätig einparkender Park Assist inklusive Rückfahrkamera, deren Bilder auf dem Touchscreen eingeblendet werden. Des Weiteren zählen eine Berganfahrhilfe, ein statisches Kurvenlicht und die Anwendung Citroën eTouch mit lokalisierter Notruf- und Pannenhilfefunktion zum Repertoire. Keine Rede allerdings ist von heute auch schon in der Mittelklasse erhältlichen Helfern wie Spurhalte-Assistent, Toter-Winkel-Warner oder Abstandswarner samt Notbremsfunktion.
Dafür gibt es – fast schon traditionell bei einem neuen Citroën – ein großes Panorama-Glasdach. Dank einer mit einer Sonnenbrille der Kategorie 4 vergleichbaren Wärmedämmung soll es zwar viel Licht, aber wenig UV-Strahlung nach innen durchlassen. Eine Abdunkelung sei überflüssig, was sechs Kilogramm Gewicht aus dem Auto nehme und nebenbei auch noch dessen Schwerpunkt absenke, heißt es im Pressetext.
Überhaupt das ewige Reizthema Gewicht: Hier durchbricht der Citroën C4 Cactus als eine der wenigen Neuheiten der letzten Jahren die Spirale, ist mit 965 Kilogramm laut Hersteller rund 200 Kilogramm leichter als der bisherige C4. Der Einsatz von Aluminium für die Motorhaube und die vorderen und hinteren Stoßstangen-Träger tragen ihr Sherflein zur Diät ebenso bei wie hochfeste Stahlsorten und – man höre und staune – hintere Ausstellfenster. Sie allein sparen elf Kilogramm an Ballast ein, sechs weitere erbringt die nur einteilig umklappbare Rücksitzbank – die es hoffentlich gegen Aufpreis auch als geteilt klappbare Einheit gibt. Selbst die Scheibenwischer magerten um drei Kilo ab.
Zusammen mit Motoren der neuesten Generation – Dreizylinder-Benziner (82 und 110 PS) und ein Vierzylinder-Diesel (100 PS)- will Citroën auf CO2-Emissionen von unter 100 g/km bei den Benzinern und 82 g/km (oder 3,1 l/100 km) beim Diesel kommen. Für das ab Juni bestellbare und ab September bei den deutschen Händlern stehende Modell steht aber auch der HybridAir-Antrieb auf dem Plan. Bei dieser kostengünstigen und an sich simplen Lösung setzt der PSA Konzern anstelle von Elektromotoren und Speicherbatterie auf ein Druckluftkonzept. Wie bei einem Elektrohybriden übernimmt den Hauptantrieb zwar ein Verbrennungsmotor, doch als „zweites Herz“ arbeitet komprimiertes Gas. Dessen gespeicherte Energie reicht aufgrund der geringen Dichte zwar nur für ein paar hundert Meter, doch führt das innerhalb von zehn Sekunden wieder startbereite System im urbanen Stop-and-Go-Verkehr dennoch zu CO2-Einsparungen von bis zu 45 Prozent. Auf den gesamten Verbrauchszyklus gerechnet sollen immerhin noch 35 Prozent weniger Treibhausgase aus dem Auspuff kommen. Da keine teuren Batterien verbaut werden müssen, bewegen sich die Zusatzkosten laut PSA auf dem Niveau eines Automatikgetriebes.
Last but not least geht Citroën beim C4 Cactus auch neue Wege bei der Finanzierung eines Neuwagens. Nach Vorbild der Mobilfunkanbieter bietet man eine Art Flatrate an, mit der innerhalb der Vertragslaufzeit alle Ausgaben für Finanzierung, Versicherung und Wartung gegen Zahlung eines festen monatlichen Betrags oder einer Kilometerpauschale abgegolten werden. Einzige Ausnahme sind die Kosten für Benzin oder Diesel. Unterm Strich sollen die Betriebskosten für einen Citroën C4 Cactus dank der sparsameren Motoren, des niedrigeren Gewichts und der schützenden Airbumps 20 Prozent unter denen vergleichbarer Mitkonkurrenten liegen.
Fazit: Der Citroën C4 Cactus macht Lust auf eine erste Probefahrt. Er stellt auf (endlich mal wieder) charmant französische Weise manche Konventionen des mitunter etwas eingefroren wirkenden Automobildesigns infrage. Ohne dabei gleich so umstürzlerisch zu sein wie Robesspierre und Co. während der „großen Revolution“ von 1789. Die Airbumps mögen – weil nicht von jedermann als ästhetisch empfunden – eine Episode bleiben. Doch die Neukonzeption des Innenraums, der Verzicht auf überflüssigen Schnickschnack – Stichwort Simplifizierung – und die ohne bemühte Sportlichkeit auskommende Design-DNA setzen zusammen mit dem cleveren Package eindeutig neue Akzente.
Die Autonation Frankreich – sie ist also doch noch recht lebendig. Vor allem denn, wenn das ab April bestellbare Günstig-Gewächs tatsächlich schon ab knapp unter 16.000 Euro angeboten werden sollte. Und schon in der nächsten Woche erwarten wir die nächste Neuheit von der linken Rheinseite: den Renault Twingo der dritten Generation, erstmals – weil zusammen mit smart entwickelt und produziert – mit Heckantrieb. A bientot! – oder: stay in touch!
Text: Autogefuehl, Thomas Imhof
Fotos: Citroën