Nasshaftung: Ein sperriges Wort, das die meisten von uns noch nie gehört haben. Wenn es darauf ankommt, entscheidet jedoch die Fähigkeit eines Reifens, auf nasser Oberfläche zu haften, womöglich über Leben und Tod. Beim diesjährigen Goodyear Dunlop Winterreifen-Workshop gaben Experten Einblicke zu diesem Thema. Von Erkan Dörtoluk
Der Herbst ist da, der Winter steht vor der Tür: Die Unfallsaison hat begonnen. In der Zeit von Oktober bis März verdoppelt sich die Zahl der Crashs bei nasser Fahrbahn auf Deutschlands Straßen nahezu. Dennoch verzichten viele Autofahrer darauf, von Sommer- auf Winterreifen umzurüsten und nehmen dafür gefährliche Rutschpartien in Kauf.
Jeder Fünfte mit Sommerreifen unterwegs
Dabei liegt der Anteil grip-relevanter Situationen bei Verkehrsunfällen auf nasser Straßenoberfläche im Winter bei 81 Prozent. „Dieser hohe Anteil verdeutlicht die große Bedeutung der Nasshaftung von Reifen, um das Unfallrisiko zu reduzieren“, erklärt Lars Hannawald von der Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden. „Zudem war bei mehr als jedem Fünften von einem Pkw verursachten Unfall mit Personenschaden im Winterhalbjahr das Fahrzeug auf Sommerreifen unterwegs.“
Die Mischung macht´s
Die Herausforderung bei der Entwicklung von Reifen liegt darin, den Rollwiderstand zu verringern (Energieeffizienz), dabei aber gleichzeitig hervorragenden Grip zu bieten (Bremsleistung). Obwohl sich beide Wünsche widersprechen, können die Hersteller eine deutliche Annäherung an diese Ziele vermelden.
Es kommt auf die Mischungstechnologie an, erklärt Saburo Miyabe, Reifenentwickler bei Goodyear Dunlop: „Die Bestandteile moderner Winterreifen-Mischungen wie Polymere, Füllstoffe und Weichmacher sind inzwischen wesentlich effizienter und können besser verarbeitet werden“. Funktionalisierende Polymere verringern die innere Reibung des Reifens und verbessern somit den Rollwiderstand; Silica als Füllstoff, pflanzenbasierte Öle und Traktionsharze als Weichmacher sorgen für ein verbessertes Nassbremsen und Nasshaftung.
Welche Fortschritte bei den Mischungen hinsichtlich des Nassbremsverhaltens in den vergangenen Jahren erzielt wurden, zeigt ein Bremsvergleich. Während ein Fahrzeug mit einem modernen Winterreifen aus Tempo 80 nach rund 33 Metern steht, benötigt das Fahrzeug, das mit dem gleichen Reifen, aber mit einer Mischungstechnologie von vor 20 Jahren ausgestattet ist, 41 Meter bis zum Stillstand. Steht das Auto mit den Winterpneus mit aktueller Mischung bereits, ist das Fahrzeug mit den Reifen aus der Mischung von vor 20 Jahren noch mit 34 Stundenkilometern unterwegs.
Kein Verlass aufs Label
Seit November 2012 gilt in der EU die Kennzeichnungspflicht für Autoreifen. Das neue EU-Reifenlabel gibt dabei Auskunft über Effizienz, Bodenhaftung und Geräuschpegel. Weil es jedoch kein genormtes Verfahren zur Ermittlung dieser Werte gibt und weil viele andere, wichtige Faktoren nicht auf dem Label stehen, ist es nicht mehr, als eine Art „Orientierungshilfe“.
So weichen zum Beispiel die Nassbremsleistungen von Winterreifen unterschiedlicher EU-Reifenlabel-Klassen stark voneinander ab. „Über 90 Prozent aller im Markt angebotenen Winterreifen weisen die Labelklasse C oder E auf“, erklärt Thomas Salzinger vom TÜV Süd. „Dabei beträgt der Unterschied des Bremswegs auf nasser Fahrbahn zwischen einem Reifen mit einem Mittelwert der Klasse C und einem Reifen mit einer Nasshaftung an der Untergrenze der zweitrelevantesten Labelklasse E mehr als 20 Prozent. Bei einer Vollbremsung aus 100 Stundenkilometer können dies zehn Meter oder mehr sein.“ Wenn das Fahrzeug mit den C-Reifen von 80 auf 20 Stundenkilometer abgebremst ist, hat das Fahrzeug mit den E-Reifen noch eine Restgeschwindigkeit von über 38 Stundenkilometer.
„Durch diese um rund 20 Stundenkilometer höhere Aufprallgeschwindigkeit wird das Verletzungsrisiko für die Fahrzeuginsassen deutlich erhöht“, erklärt Peter Schimmelpfennig von der crashtest-service.com GmbH. „Durchgeführte Crashtests auf der Basis der beiden Aufprallgeschwindigkeiten von 20 und 38 Stundenkilometer zeigen zudem, dass an dem Fahrzeug mit der höheren Aufprallgeschwindigkeit ein erheblich größerer Sachschaden vorliegt.“
Goodyear UltraGrip 9
Der UltraGrip 9 ist das neuste Mitglied der UltraGrip-Familie, von der seit der Einführung 1971 mehr als 60 Millionen Winterreifen verkauft wurden, und wurde für Fahrzeuge der Kompakt- und Mittelklasse entwickelt.
Text & Fotos: Erkan Dörtoluk
Einen weiteren Artikel dazu gibt es bei newcarz.
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