Renault Kadjar: Der französische Qashqai

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. In der Tat steigt Renault mit dem neuen Kadjar als einer der letzten Hersteller in das Segment der kompakten SUV ein; lediglich Seat, Skoda und Volvo haben noch etwas länger eine solche Lücke im Modellprogramm. Dennoch stehen die Erfolgschancen gut: Zum einen gefällt der Kadjar durch die schon mit dem kleineren Captur erfolgreich eingeführte neue Design-DNA von Renault, zum anderen steckt unter der Haut die Technik des Nissan Qashqai. Weil der schon seit Jahren die unangefochtene Nummer Eins in der kompakten SUV-Klasse ist, kann eigentlich kaum etwas schiefgehen. Denkt sich auch Renault – und will mit dem Neuling schon 2016 auf Platz drei der europäischen Zulassungscharts klettern. Von Thomas Imhof

Die SUV-Welle will einfach nicht abebben. 2014 entschied sich fast jeder fünfte Kunde weltweit für ein Crossover-Modell. In Europa erzielten SUV-Fahrzeuge einen Marktanteil von 23 Prozent, in China sogar schon 26 Prozent.

Und das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange: Die Analysten des Marktbeobachters IHS sagen für 2020 und Europa ein Volumen von zwei Millionen Kompakt-SUVs voraus; im Vergleich zu 1,5 Millionen im vergangenen Jahr. Crossover Modelle versprechen größere Margen, werden sie doch im Schnitt zwischen zehn und 20 Prozent teurer angeboten als auf der gleichen Plattform produzierte Limousinen. Das macht sie für die Autobauer so attraktiv. Kunden lieben sie ohnehin, vor allem Frauen, weil ein SUV dank erhöhter Sitzposition, großen Rädern und etwas robusterer Optik den Beschützerinstinkt weckt.

RENAULT KADJAR (HFE) - PHASE 1
Renault kommt spät, aber respektabel: Der neue Kadjar gehört zweifellos zu den attraktiveren Vertretern des an Auswahlmöglichkeiten wahrlich nicht armen Segments der Kompakt-SUVs – Foto: Renault

 

Frankreich wehrte sich lange gegen den SUV-Trend – am Ende vergeblich

Die Franzosen wehrten sich dennoch lange gegen den von den USA nach Europa herübergeschwappten Trend. Vor allem gegen die ganz großen Modelle vom Format eines Audi Q7 richtete sich die Aversion, ja geradezu der Hass. Mit hohen Straf- und Luxussteuern sowie anderen Gemeinheiten wollten die Gesetzgeber sie vor allem aus den Innenstädten vertreiben. Als sich aber dann der Trend nach unten ins massenkompatiblere Kompakt-Segment  fortsetzte, konnten PSA und Renault nicht länger abseits stehen. PSA half sich aus der Klemme, indem man den Mitsubishi ASX mehr schlecht als recht zu einem Citroen und Peugeot umdeklarierte. Klassisches Badge-engineering, das aus einem ASX einen C4 Aircross und einen 4008 machte. Renault startete mit dem allerdings wenig erfolgreichen Korea-Import Koleos, ehe mit dem Captur Anfang 2013 der erste wirklich eigene französische Crossover (auf Clio-Basis) auf die Straße kam. Wie sich jetzt zeigt mit Erfolg: Mit 178.000 verkauften Einheiten ist der Captur der meistgefragte seiner Spezies in Europa und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Renault nach langer Durststrecke wieder hoffnungsvoller in die Zukunft schauen kann.

Beim neuen Kadjar greifen die Franzosen nun auf die zusammen mit Allianz-Partner Nissan entwickelte Common Module Family (CMF) zurück. Ein modularer Baukasten, der es Renault ermöglicht, nun einen frankophonen Nissan Qashqai anbieten zu können. Der Renault Kadjar nutzt die neue Plattform CMF-C/D, die neben dem Qashqai und X-TRAIL von Nissan auch dem neuen und kurz vor seiner Markteinführung stehenden Espace als Basis dient.

RENAULT KADJAR (HFE) - PHASE 1
Die Flanken erinnern an den kleineren Captur. Eine breite Schulter und Muskeln über den Radhäusern sind für Designer probate Mittel, um bei aller Dynamik des oberen Aufbaus auch Robustheit zu vermitteln – Foto: Renault

60 Prozent Gleichteile mit dem Nissan Qashqai

Mit einer Länge von 4,45 Meter und einer Breite von 1,84 Meter ist der Renault Kadjar zwar etwas größer als der Nissan Qasqhai, teilt sich aber laut Renault-Programmdirektor Bruno Ancelin 60 Prozent aller Teile mit dem in Sunderland gebauten Nissan. Auf dem Genfer Salon Anfang März will Renault die Preise für das sowohl mit Front- als auch Allradantrieb angebotene Modell nennen; im Juni folgt dann der Marktstart.

Der Name Kadjar klingt zunächst arabisch, erlaubt Assoziationen zwischen Wüste und Kashbah. Doch gibt es weder einen mystischen Ort dieses Namens, noch sonst ein reales Gegenstück. Denn Kadjar ist – wie so oft bei neuen Autonamen – ein aus zwei Silben zusammengefügtes Kunstwort. Die erste („Kad“) sei, so Renault, von jenen vierrädrigen Quads inspiriert, wie sie zuletzt wieder bei der Rallye Dakar zu sehen waren. Die Endung „jar“ erinnere an die französischen Begriffe „agile“ (behände, agil, leichtfüßig) und „jaillir“ (hochschießen, hervorsprudeln). Insgesamt vereine der Name so Exotik, Abenteuer und den Aufbruch zu neuen Horizonten, tönen die Renault Marketingstrategen. Ach ja, und der Anfangsbuchstabe „K“ schaffe zusätzlich die Verbindung zu den anderen Renault Crossover-Modellen Captur und Koleos.

Renault Captur, Foto: Renault
Der Anfang 2013 vorgestellte Renault Captur auf Basis Clio stand stilistisch Pate für seinen größeren Bruder und leitete in Europa ein Renault-Comeback ein – Foto: Renault

Das Design von Renault hat seit Amtsantritt des niederländischen Chefdesigners Laurens van den Acker fraglos wieder an Attraktivität gewonnen. Sieht man mal vom unglücklich gestylten neuen Twingo ab, führten der neue Clio und vor allem der Captur eine sehr fließende und zugleich dynamische wie dezent robuste neue Designsprache ein. An der höchstens der überbetonte Renault-Rhombus in der Nase des Fahrzeugs etwas irritiert.

„Wenn schon nicht die schnellsten, dann die schönsten“ (Designchef van den Acker)

So nimmt es kein Wunder, dass auch beim neuen Kadjar viele bekannte Elemente des Captur neu auftauchen. „Wenn wir schon nicht die schnellsten sind, wollen wir wenigstens die schönsten sein“, scherzt van den Acker. Das Erscheinungsbild des 4,45 Meter langen und 1,84 Meter breiten Kadjar ist gekennzeichnet von einem vergleichsweise niedrigen Dachaufbau. Der Renault SUV misst lediglich 1,6 Meter in der Höhe. Mit 91 Zentimeter Kopffreiheit und 1,46 Meter Ellbogenfreiheit soll es auf der Rückbank dennoch recht geräumig zugehen.

An der Front betont wie beim Captur eine bis in die Hauptscheinwerfer ziehende Chromsprange die Breite, während muskulös geformte Kotflügel und eine kraftvolle Schulter Robustheit und Stärke demonstrieren. Der clever in die Karosserie integrierte Heckstoßfänger, eine Dachreling aus eloxiertem Aluminium und die stark eingezogenen Flanken mit schwarz getönten, nach außen gewölbten Seitenschutzleisten am unteren Türrand sind weitere auffällige Features. Eine Chromzierleiste betont den plastischen Charakter des Rammschutzes zusätzlich.

19 Zentimeter Bodenfreiheit, ein Unterfahrschutz vorne und hinten sowie Böschungswinkel von 18 beziehungsweise 25 Grad sollten zumindest für Ausflüge in sanftes Gelände reichen – speziell in den Versionen mit optionalem Allradantrieb.

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Ein Juwel: Die LED-Scheinwerfer des Renault Kadjar samt auch beim neuen Espace realisierten C-förmigen Tagfahrlicht-Graphik – Foto: Renault

Ein optisches Juwel sind zweifellos auch die je nach Ausstattung komplett in so genannter „Pure Vision LED“-Technik ausgeführten Scheinwerfer. Die LED-Module erfüllen die Funktion von Fern- und Abblendlicht und strahlen 20 Prozent heller als Halogenleuchten. Das integrierte LED-Tagfahrlicht trägt eine „C“-Form – wie auch beim neuen Espace und weiteren künftigen Renault-Modellen. Die Rücklichter dagegen tragen eine wellige Lichtsignatur ähnlich wie seinerzeit am Konzept-Fahrzeug Captur.

Interieur soll besonders wertig wirken – aber leider gibt es nur ein feststehendes Glasdach

Im Interieur hat sich Renault alle Mühe gegeben, in punkto Wertanmutung auf das (hohe) Niveau des neuen Nissan Qashqai zu kommen. Materialien in Soft-Touch-Anmutung, ein Schalthebel mit feinen, glitzernden Einsätzen und doppelreihige Ziernähte an den Sitzen, am Haltegriff auf der Mittelkonsole für den Beifahrer, an den Türöffnern und an der Oberseite der Instrumententafel zeugen davon. Für Sonnenanbeter gibt es ein 1,4 Quadratmeter großes, allerdings nur festes Glasdach.

Analog zum Qashqai können Kunden Versionen mit Front- und variablem Allradantrieb orderm. Wie gehabt können per Drehrad auf der Mittelkonsole bei den 4×4-Modellen drei Antriebarten gewählt werden: 2 WD, AUTO- und LOCK-Modus. Für die Fronttriebler steht optional eine erweiterte Traktionskontrolle namens „Extended Grip“ zur Wahl, die auf schwierigem Untergrund ein sicheres Fortkommen ermöglichen soll.

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Für das Cockpit verspricht Renault eine deutlich höhere Qualitätsanmutung – und wird sich in diesem Punkt am Plattformspender Nissan Qashqai messen lassen müssen – Foto: Renault

Zu den je nach Version werksseitigen oder aufpreispflichtigen Assistenzsystemen gehören eine Rückfahrkamera, Parksensoren und ein Einparkassistent, der den Kadjar selbstständig in Parklücken leitet. Zu den radar- und kamerabasierten Helferlein zählen ein Notbremsassistent, ein Spurhaltewarner, eine Verkehrszeichenerkennung sowie Fernlicht- und Toter-Winkel-Assistent.

Die im Verhältnis 60:40 teilbare Rückbanklehne lässt sich je nach Ausstattung vom Kofferraum aus per Tastendruck vorklappen. Auch die Beifahrersitzlehne ist umlegbar. Nach Vorbild des Qashqai ist der Kofferraumboden variabel gestaltet: In oberster Position ermöglicht er einen durchgängig ebenen Ladeboden, in unterer Position steigt das maximale Ladevolumen auf 472 Liter (gemessen bis zur Fensterkante). Dazu gibt es Gepäckraumteiler, die verhindern, dass lose Gepäckstücke umfallen oder umherrutschen.

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Haltegriff für den Beifahrer auf der Mittelkonsole mit doppelten Ziernaht – Foto: Renault

Auch in puncto Konnektivität soll sich der neue Renault Kadjar nicht verstecken. Das Renault R-Link 2® Online-Multimediasystem verfügt über einen 7-Zoll (17,78 Zentimeter)-Touchscreen-Monitor mit Kapazitiv-Technologie. Es funktioniert wie ein fest in die Armaturentafel integrierter Tablet-Computer. Logische Menüs und Icons erlauben die intuitive Bedienung, ohne vom Verkehrsgeschehen abzulenken. Außerdem verfügt das System über die Möglichkeit zur Sprachsteuerung. Über die Funktionen Radio, Telefonie, Navigation, Multimedia und Fahrzeuginformationen hinaus ist die Nutzung von Apps möglich, die sich aus dem Renault R-Link® Store herunterladen lassen.

118.000 Einheiten im ersten vollen Jahr sollen den Kadjar auf Platz drei der Hitliste hieven

Bei Renault setzen sie fest darauf, dass sich der Erfolg des Captur (4,12 Meter) nun auch eine Klasse darüber wiederholt. Im ersten vollen Verkaufsjahr (2016) will das Unternehmen laut IHS Automotive mit 118.000 Einheiten den neuen Kadjar quasi aus dem Stand auf Platz drei der europäischen Verkaufscharts für kompakte SUV und Crossover hieven. Hinter dem Qasqhai und dem VW Tiguan. Renault/Nissan-CEO Carlos Ghosn sieht das Modell als eine „gewaltige Gelegenheit“ für Renault. Schließlich entfielen weltweit 25 und allein in China 30 Prozent des Marktes auf kompakte SUV und Crossover.

Wählschalter der 4x4-Modelle auf dem Mitteltunnel - Foto: Renault
Wählschalter der 4×4-Modelle auf dem Mitteltunnel. Links die elektrische Handbremse – Foto: Renault

Unter anderem die Europa-Versionen des Kadjar produziert Renault im spanischen Werk Palencia, das bislang vor allem als Stammwerk des Mégane bekannt war.  83 Prozent des dortigen Kadjar Volumens sollen in den Export (über 50 Länder auf fünf Kontinenten) gehen.

Ab 2016 kommt dann die China-Variante aus dem neuen und zusammen mit Joint-venture Partner Dongfeng betriebenen Werk in Wuhan hinzu. Der Standort soll mit einer Amfangskapazität von 150.000 Einheiten Anfang nächsten Jahres seinen Betrieb aufnehmen und langfristig dazu beitragen, Renault in China einen Marktanteil von 3,5 Prozent zu verschaffen – was in etwa 750.000 Neuwagen pro Jahr gleichkäme.

Text: Thomas Imhof, Autogefühl

Fotos: Renault

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