Besuch: Bentley Werk Crewe mit Bentayga Produktion

Bentley zählt zu den exklusivsten Automarken der Welt, dementsprechend exklusiv läuft auch die Produktion der Fahrzeuge ab. Lediglich knapp über 10.000 Fahrzeuge werden im britischen Crewe produziert, mitten im Nirgendwo zwischen Manchester und Birmingham. Aber in der Fabrik arbeiten über 4.000 Menschen. Dieses Verhältnis zeigt, wie viel klassische Manpower und Handwerk noch in den Fahrzeuge stecken. Wir haben die Fertigung miterlebt – und durften sogar selbst Hand anlegen. Von Thomas Majchrzak




Geschichte

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Als im Jahr 1919 der erste Bentley gebaut wurde, dachte noch niemand an eine weltbekannte Marke für Luxusautos. Und so wurden natürlich nicht alle Fahrzeuge für die Nachwelt aufbewahrt. Auch sahen die Schlitten wahrlich anders aus als heute. Besonders beeindruckend wirkt der Bentley 8 litre aus den späten 1930er Jahren, dessen riesiger Kühlergrill und Lampen eher an ein Raumschiff erinnern als an ein Automobil. Zu dieser Zeit hat Bentley noch eigenständig produziert. Dann folgte eine lange Zeit, in der Bentley und Rolls-Royce unter einem Dach produzierten, die Modelle waren technisch identisch und wurden nur anders außen und innen designed. Wieso man das Werk gerade in Crewe errichtete, mitten auf dem Land und ziemlich westlich in Großbritannien? Es sollte während des zweiten Weltkriegs nicht in der Reichweite deutscher Bomber liegen. Denn im kriegswichtigen Betrieb wurden Flugzeugmotoren hergestellt, was Rolls-Royce bekanntlich bis heute tut. Erst mit dem Kauf von Rolls-Royce durch BMW nach der Jahrtausendwende zog die Rolls-Royce Fertigung nach Goodwood, und Bentley unter dem Dach des Volkswagen-Konzerns blieb in Crewe. Vorteil für Bentley unter dem neuen großen Eigner: Es flossen frische Investitionen in das Werk, was zu einem beachtlichen Wachstum führte.

Wachstum mit SUV

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Von knapp über 10.000 Fahrzeugen pro Jahr möchte Bentley langfristig auf gut 15.000 Fahrzeuge jährlich wachsen. Helfen dabei soll unter anderem der neue Bentley Bentayga, das erste SUV. Die Basis dafür liefert der neue Audi Q7, und ebenfalls der neue VW Touareg sowie der neue Porsche Cayenne werden diese MLB-Plattform nutzen (Modularer Längsbaukasten). Überhaupt wird in Crewe lediglich die Mulsanne-Karosserie gefertigt, alle anderen werden von den Volkswagen-Brüdern geliefert. Das mag beim ein oder anderen verpönt sein, doch realistisch muss man sehen, dass kleine Luxushersteller nicht mehr ohne große Brüder existieren können, wenn sie bei ihren kleinen Stückzahlen bleiben. Zumindest, wenn sie gleichzeitig moderne Technologien einsetzen möchten. Denn Bentley alleine könnte sich es nicht leisten, so viele einzelne neue Technologien selber zu entwickeln.

Individualisierung mit Handarbeit

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So kann sich Bentley auf das konzentrieren, wofür die Mitarbeiter in Crewe geschult sind: Handarbeit. Die grundsätzliche Produktionsstraße sieht so aus wie in jedem anderen Werk. Der Unterschied ist hier lediglich, dass das Band langsamer läuft. Aber neben den Produktionsstraßen oder in Nebengebäuden zeichnet sich ein ganz anderes Bild: Hier sieht es eher aus wie in einer Manufaktur, wie in einer Textilfabrik oder wie beim Schreiner. Und das ist auch das Geheimnis der Individualisierung und des hohen Verkaufspreises.

Wir sehen uns zunächst den Arbeitsbereich für Kontrastnähte an. Jedes Lenkrad und jeder Sitz wird per Hand vernäht und mit Kontrastnähten in der gewünschten Farbe versehen. Jedes einzelne Loch wird dafür vorgestochen. Und in einem Bentley Continental GT kommen damit dann insgesamt 11.000 Stiche für Kontrastnähte zusammen, ein unfassbarer Aufwand.

Kaum Alternativen zu Echtleder

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Leder ist als Bezug für Sitze und Lenkräder bei Bentley in fast allen Fällen aus echter Tierhaut. Diese werden von Kühen aus dem nordeuropäischen Raum genommen, weil dort weniger Hautunebenheiten durch Mückenstiche entstehen würden. Im Werk werden die ganzen Häute dann noch auf verbleibende Unebenheiten geprüft, es entsteht ein weiterer Verschnitt. Hier wird Leder in einer Art und Weise verherrlicht, als gäbe es keine Alternative. Dabei hat Bentley im GT3-Fahrzeug schon gezeigt, dass man auch Alcantara sehr hochwertig und attraktiv verarbeiten kann. Die ein oder anderen Kundenanfragen seien dahingehend auch schon gekommen. Wünschenswert wäre, wenn auch in Serienproduktion Echtleder-Alternativen angeboten würden, wie ganz hochwertiges Kunstleder, das auch bei exklusiven Yachten zum Einsatz kommt oder zum Beispiel am Armaturenbrett der Mercedes S-Klasse – oder eben Alcantara/Mikrofaser. Denn jeder, der sich auf einen Echtledersitz setzt, muss sich bewusst sein, dass der Sitzbezug einmal eine Mutter, einen Vater und ein Gesicht hatte. Und wer würde sich schon auf die Haut seines toten Hundes setzen? Grundvoraussetzung zur Meinungsbildung zum Thema Leder ist die vielfach beachtete Dokumentation des preisgekrönten Journalisten Manfred Karremann „Gift auf unserer Haut“, die man einfach im Web findet. Letztlich ist es auch der Kunde, der mit seinem Wunsch eine Veränderung hervorrufen kann.

Autofarbe wie Kleidfarbe

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Ein anschauliches Beispiel dafür, wenn auch im profanen Bereich, ist folgende nette Story: Eine Bentley-Kundin wollte einen GT in der Farbe ihres Lieblingskleides, ein helles Blau. Die Farbe wurde dazu extra angemischt – und gefiel den Designern dann so gut, dass sie die Kundin fragten, ob diese Farbe auch allgemein angeboten werden dürfte. Und so fand sie Eingang in die Farbpalette. Mulliner ist die Sonderwunsch-Abteilung bei Bentley, und in der Tat versucht man, möglichst jeden Wunsch wahrzumachen. Beliebt sind farblich abgestimmte Interieure zur jeweiligen Exterieurfarbe.

Das Geheimnis der Holz-Symmetrie

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Eines der beliebtesten Elemente eines Bentley sind die edlen Holzfurniere an Armaturenbrett und Türinnenseiten. Dafür gibt es einen separaten Woodshop, in dem es riecht wie in einer finnischen Sauna. Hier lagert Rohmaterial verschiedenster Bäume, und dies kommt alles aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Gut, dass Bentley beim Bezug des Materials darauf achtet. Für jeden Baum, der gefällt wird, werden drei neue gepflanzt, heißt es. Und was überrascht: Die Platten sind fast so dünn wie Papier. Dabei macht das Holz im Fahrzeug so einen dicken Eindruck, das liegt aber nur am Trägermaterial darunter. Die Holzscheiben sind ferner so dünn geschnitten, damit man mehrfach dieselbe Maserung im Holz erhält. So können die Schreiner nämlich die linke und rechte Seite des Interieurs genau symmetrisch spiegeln, so dass sich zweimal dasselbe Holzmuster ergibt. Das Holz wird lackiert und anschließend in mehreren Stufen geschliffen und poliert, so dass es später seinen Hochglanz erreicht. Mattiertes Holz findet man hier nicht, eigentlich schade, denn Naturholz ohne Lackierung macht sich im Auto auch gut. Bentley setzt da aber eher auf den klassischen, scheinenden Ansatz.

Und es werde Bentley

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Die handgenähten Elemente werden mit dem Armaturenbrett verbunden, das Armaturenbrett mit dem Chassis, und ferner werden bei der so genannten Hochzeit Antriebsstrange und Chassis miteinander verknüpft. Je nach Modell dauert die gesamte Herstellung eines Bentley zwischen 150 und 400 Stunden, letztere Zeit beim Flaggschiff Mulsanne, bei dem auch am meisten Teile in Crewe direkt hergestellt werden. Während man in anderen Werken sieht, dass bei den meisten Fahrzeugen die Farben grau und Silber zum Einsatz kommen, findet man in Crewe erfreulich viele kräftige Farben. Man merkt, dass ein Bentley als Status-Symbol, Spaßauto, Dritt- oder Viertwagen usw. erworben wird. Da ist man dann schon mutiger in der Farbgebung. Beim Bentayga sehen wir auffällig viele weiße Fahrzeuge, vielleicht ein Hinweis darauf, dass besonders viele SUVs in den nahen Osten gehen. Grundsätzlich sind die Hauptmärkte für Bentley die USA und China, jeweils zu einem Drittel. Das wird auch so bleiben. Was die Zukunft bringt? Auch bei Bentley wird die Elektrifizierung Einzug halten, etwa in Form eines Plugin-Hybrid für den Bentley Bentayga, das Vorbild des Audi Q7 e-tron existiert schließlich. Auch wäre es möglich, dass erstmals ein Diesel Einzug hält, wie beim neuen Audi SQ7 TDI V8. Ebenfalls wird die neue Plattform des Porsche Panamera wohl auch das Vorbild für einen Plugin-Hybrid für die nächste Generation des Continental GT liefern.

Text: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Fotos: Bentley

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