367 PS in einem Serien-Volvo, das klingt zunächst ungewöhnlich, auch angesichts der groß angekündigten und durchgeführten Vierzylinder-Strategie der Schweden. Nun erhalten nach und nach alle Modelle eine echte Polestar-Version, also nicht nur eine Leistungsoptimierung, sondern ein eigenes Sondermodell. Diese Entwicklung wird auch dadurch forciert, dass der traditionelle Volvo-Tuner Polestar von der Marke in 2015 aufgekauft wurde. Welche Veränderungen für Volvo S60 und V60 Polestar vorgenommen wurden und wie sich die Sportmodelle der Mittelklasse im Wettbewerb schlagen, zeigt unser Testbericht über die schnellsten Serien-Volvos aller Zeiten. Von Thomas Majchrzak
Das jüngst einverleibte Unternehmen Polestar konzentriert sich vor allem auf Leistungssteigerung der Volvo-Motoren und kann im Groben zur Einordnung mit Sport-Veredelungen à la Mercedes-AMG, BMW M und Audi sport (S / RS) verglichen werden, mit dem Unterschied, dass z.B. AMG eigene Motoren baut und Polestar die vorhandenen Motoren tuned. Während die Basisvariante für den S60 bei knapp über 28.000 Euro beginnt (Einstiegsbenziner T2 mit 122 PS), muss man für die echte Polestar-Version mindestens 68.000 Euro hinlegen (Kombi V60 69.600 Euro). Letztere basiert auf dem größten Benziner-Motor T6 mit 306 PS und der hohen R-Design Ausstattung und erreicht dann in der Polestar-Version 367 PS. Ferner wurden insgesamt 60 Änderungen am Fahrzeug vorgenommen. Abzugrenzen ist dies von nachträglichen Polestar-Leistungssteigerungen für Bestandsfahrzeuge (s.u.), bei denen ein Elektronik-Eingriff vorgenommen wird.
S60 und V60 sind grundsätzlich sehr klassisch gestaltet, sie gehören auch noch zur alten Volvo-Generation, das sieht man ihnen durchaus an – wobei das Volvo-Design zumeist zeitlos elegant ist. Volvo macht hier vor der kompletten Modell-Erneuerung der Mittelklasse noch einmal einen sportlichen Aufschlag. Die R-Design Linie, die automatisch mit dem Polestar-Modell kommt, zeigt kräftigere Elemente wie Frontsplitter, Heckspoiler und Diffusor. Ferner sind für das Sondermodell 20-Zoll-Felgen serienmäßig montiert (normales R-Design: 18 Zoll). Gleichzeitig wurde die Bremsanlage überarbeitet, die Bremsscheiben besitzen hier einen größeren Durchmesser von 37,1 cm, was bei 367 PS sinnvoll ist. Aerodynamisch wurde auch am Heck mit Spoiler und Diffusor nachgefeilt, und für den Sound sorgt eine Sport-Abgasanlage mit Klappen. Volvo S60/V60 Polestar zeigen insgesamt ein sportlich-elegantes Design, ohne zu aufdringlich zu wirken.
Interieur
Volvo S60 und V60 weisen grundsätzlich auch im Interieur das klassischere Volvo-Layout auf, das aber schon traditionell skandinavisch aufgeräumt ist. Dieses Interieur könnte man bis auf einige Ausnahmen auch in zehn Jahren noch so verkaufen. Hauptaugenmerk ist die geschwungene Mittelkonsole, die sich edel mit Holz oder sportlich mit Alu bestücken lässt. In der Polestar-Variante kommen echte Karbon-Einlagen zum Einsatz. Das Infotainment-System ist noch vergleichsweise klein und eingelassen, darunter stecken viele Knöpfe, mit denen man in der Navi-Karte navigieren kann oder mit denen man noch ganz klassisch Telefon-Nummern wählen kann. Das Telefon wird via Bluetooth verbunden, eine direkte Smartphone-Konnektivität ist noch nicht erhältlich.
Während ein Basis S60 / V60 im Interieur mit Stoffsitzen startet, kommt der Polestar mit R-Design im Mix Stoff / Tierhaut. Blaue Kontrastnähte verleihen dem Innenraum sportliche Ambition. Dazu kommen Alu-Pedalerie, ein Polestar-Schaltknauf und Fußmatten mit blauen Kontrastnähten. Viel Sonderausstattung gibt es nicht mehr, denn so ziemlich alle Luxus-Features sind bereits inbegriffen, etwa auch Sitzheizung auf vier Sitzen, Frontscheibenheizung und das Navi. In der Aufpreisliste finden wir nur noch wenige Optionen wie z.B. das Glasschiebedach.
Wie bei Volvo üblich sind die Sitze sehr bequem und bietet auch großen Personen ausreichend Platz und Langstrecken-Tauglichkeit. Im Fond gibt es Mittelklasse-Fahrzeuge mit mehr Beinfreiheit, 1,86 m passen allerdings durchaus viermal in das Fahrzeug. Der Kopfraum ist im Fond der Limousine dann eingeschränkt, mit dem Kombi ist 1,90 m kein Problem. Weiterhin hat der V60 in puncto Ladevolumen die Nase vorn, aber auch in der Praxistauglichkeit beim Umlegen der Sitze. Beim V60 kann man die Sitze vom Laderaum aus entriegeln und umklappen lassen, alternativ vom Fond aus. Im S60 muss man die Sitze im Kofferraum entriegeln und dann vom Fond aus umlegen.
S60 Fond / Kofferraum
Motoren
Gewöhnlich hat der 2,0 Liter Vierzylinder T6 AWD Motor 306 PS, als R-Design Momentum liegt er bei 48.800 Euro.
Der T6 AWD Polestar kommt auf 367 PS. Die Leistungssteigerung um 61 PS wird unter anderem durch einen größeren Turbolader und eine leistungsfähigere Kraftstoffpumpe erzielt. Die 367 PS bringen den Volvo S60 / V60 Polestar mit Allradantrieb in 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h.
Im kombinierten Verbrauch liegt der S60 Polestar laut Hersteller bei 7,8 l / 100 km, um einen realistischen Wert zu erhalten, sollte man jedoch gut und gerne zwei oder drei Liter addieren. Auf unser Testfahrt konnten wir auf langen Autobahnstrecken durchaus an die 8 l herankommen, auf kurvigen Bergstraßen ging es dann hoch auf 11 l.
Übrigens kann man seinen T5 auch Polestar optimieren von 245 auf 253 PS, wichtiger dabei ist allerdings, dass das Drehmoment von 350 Nm auf 400 Nm steigt. Diese nachträgliche Leistungsoptimierung ist dann ein anderes Paar Schuhe als das separate Polestar-Modell.
Fahrverhalten
Ein Volvo S60 / V60 zeichnet sich in der Regel durch das eher weiche Fahrwerk und den Komfort aus, der Fokus liegt eher auf dem komfortablen Geradeauslauf. Die Polestar-Variante mit Sportfahrwerk und Öhlins-Stoßdämpfern soll das ändern. Zunächst sind die Dämpfer verstellbar, das muss man in der Werkstatt machen lassen. Man kann sich also bei der Auslieferung für ein bestimmtes Setup entscheiden, es aber auch später noch einmal ändern lassen. Das neue Polestar-Fahrwerk wirkt auf uns durchweg ausgewogen. Es vermittelt mehr Kontakt zur Straße und verhindert allzu starke Wankneigungen, wird aber keineswegs unkomfortabel. Eine sehr gute und für alle Situationen zu empfehlende Mischung.
Neben der Leistungssteigerung wiegen die Polestar-Modelle 20 kg weniger und weisen eine andere Lenkcharakteristik auf. Es fällt auf, dass man nicht mehr ganz so viel lenken muss, während die Lenkung gleichzeitig etwas straffer geworden ist.
Ein Tritt aufs Gaspedal und der kleine Turbomotor zeigt, dass er keine sechs Zylinder benötigt. Bereitwillig hängt er am Gas und hat auch noch Kraftreserven auf Autobahnfahrten. Dabei hört sich der Sound aus dem Klappenauspuff großvolumiger an, als er ist. Schaltvorgänge bei hoher Drehzahl werden mit einem Plopp kommentiert. Lediglich das Turbosurren trübt das Soundvergnügen etwas.
Angenehm ist das schnelle Umschalten in den Sport-Modus: Einmal den Schalthebel nach links ziehen und schon dreht der V60 / S60 Polestar höher und schaltet später hoch und früher runter. Das ist praktisch zum Nutzen der Motorbremse bei langen Bergabfahrten oder für mehr Drehzahl bei Bergauffahrten.
Eigentlich als Entwicklermodus gedacht, ist nun auch für Kunden ein Sport-Plus-Modus verfügbar. Dieser hält die Drehzahl des Motors konstant in hohen Regionen, etwa für die Rennstrecke. Für den Alltagseinsatz macht dieser Modus aber nur wenig Sinn, nach einer Weile stört die ständig hohe Drehzahl. Wer es ausprobieren möchte: Schalthebel nach links Richtung Sport ziehen, dann den Schalthebel nach vorne drücken und dort halten, dann das linke Schaltpaddle am Lenkrad zweimal kurz hintereinander ziehen. Dann blinkt das „S“ Symbol in den digitalen Instrumenten zweimal auf. Das ist die Bestätigung, danach sieht man keine Vergewisserung, ob man im Sport-Plus-Modus ist, man merkt es aber an der Drehzahl, wenn man fährt.
Abmessungen
Länge: 4,63 m
Breite: 1,86 m (2,09 m mit Außenspiegeln)
Höhe: 1,48 m
Radstand: 2,77 m
Fazit: Volvo V60 Polestar und S60 Polestar sind echte Traum-Volvos und bieten eine sehr angenehme Mischung aus Komfort und Sportlichkeit. Ja, Volvo kann auch sportliche Autos bauen, und zwar solche, die nicht ruppig werden. Gut nutzbare Mittelklasse-Fahrzeuge für den Alltag mit dem gewissen Extra. Der V60 spielt in Fond und Laderaum seine Vorteile aus, die Limousine hat dafür die elegantere Heck-Linie. Die Vorhersagen von Volvo zeigen aber: Von 1.500 Polestar-Editionen werden in der nächsten Zeit 1.000 Kombis und 500 Limousinen gebaut, die globale Nachfrage nach Kombis ist hier also wohl mal ausnahmsweise höher. Ausverkauft würden die Modelle allerdings final nicht, wenn mehr Nachfrage kommt, produziert Volvo auch nach. Wobei der hohe Preis die meisten Kunden wohl dazu bringen wird, weiterhin mit einem T4 oder D4 Vorlieb zu nehmen und bei der Hälfte des Preises zu bleiben – oder sich die R-Design Linie zu holen.
Autogefühl: *****
Text & Fotos: Autogefühl, Thomas Majchrzak
Eine weitere sportliche Perspektive auf den V60/S60 gibt es bei passiondriving.
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